‚MZ-Forum‘ zu Neustadt-Scheiben: Volksfest unter der Rolltreppe

16. Juni 2017 | Politik | 3 Kommentare

Die Sommerlochdebatte um die Neustadt-Scheiben und das diesbezügliche Volksbegehren feierten heute Abend einen vorläufigen Höhepunkt: auf der Bühne unter der Rolltreppe im Neustadtzentrum,  da, wo sonst D-Schlagerpromis die Kassiererinnen des Real- Markts mit Volksmusik zudröhnen oder Werbeveranstaltungen für Heizdecken ein interessiertes Publikum finden, hat unsere Lokalzeitung einen großartigen Event hingelegt. Das Sommerloch naht, und die Mitteldeutsche Zeitung tut das, was andere Unterhaltungsmedien auch gerne tun: man veranstaltet etwas, um dann darüber selbst zu berichten. Hallespektrum war als Zaungast dabei. Auf der Bühne: Oberbürgermeister Bernd Wiegand,  Andreas Schachtschneider ( CDU-Stadtrat, Vorsitzender des Halle-Neustadt-Vereins) Johannes Krause (SPD-Stadtratsfraktionsvorsitzedner  als Stadtratsvertreter) und Peter Frießleben,
Architekt, einst Mitglied des Planungskollektivs, das dereinst die Ikone der DDR-Moderne schuf, die Neustädter Scheiben, die dereinst als Antwort auf die fünf Türme des mittelalterlichen Halles verstanden werden sollten. Heute ist Frießleben Vorstandsmitglied der Architektenkammer Sachsen-Anhalt.  Seine „Scheiben“ stehen zur Disposition. Die Ikone einer vergangenen DDR-Moderne und zugleich Identität einer älteren Volksgruppe gammelt seit der Wende vor sich hin. Das ist alles bekannt. Und wir kennen auch die Initiative des OB Wiegand einerseits und des Halle-Neustadt-Vereins, neuerdings unter Führung des CDU-Stadtrats Bernd Schachtschneider,  wenigstens eine der Scheiben einer Nutzung zuzuführen, konkret einen Großteil der Stadtverwaltung (die Sozialdienste) in eine der Scheiben einziehen zu lassen. Erst war von Kauf die Rede, jetzt von einem Miet-Deal: wir beschließen, die Scheibe (24 qm Nutzfläche) für (max.) 9,90 € zu mieten und zwar von dem, der die Scheibe nach der Zwangsversteigerung erwirbt. Der  Gewinner der Zwangsversteigerung steht zwar nicht fest, oder vielleicht doch ein bisschen, zumindest scheint der OB schon mit ihm Gespräche zu führen,  u.a. ist von der Saalesparkasse die Rede.

Polit-Promis unter der Rolltreppe im Einkaufscenter

So, Bühne frei, unter der Rolltreppe um 18:00 Uhr eröffnete MZ-Redakteur Dirk Skrzypczak die Runde. An Bernd Wiegand richtet sich die Frage, ob man nicht den Stadtratbeschluß abwarten wolle. Doch, selbstverständlich, das sei halt ein Entscheidungsprozess, der leider viel Zeit koste. An Krause geht die Frage, warum der Stadtrat sich so schwer tue. Krause antwortet daraufhin das, was er im Laufe der anderthalb Stunden immer wieder und immer leiser sagt und was im Verlaufe des Protestgemurmels und der Zwischenrufe aus dem Publikum langsam aber sicher untergeht:  Es gehe nicht um parteipolitische Bedenken, sondern um Fachfragen. Prioritäres Problem sei erst einmal, wie  und wo man die Verwaltung unterbringen könne, unter möglichst besten wirtschaftlichen Bedingungen. Das bedürfe reiflicher Überlegungen. Dann könne man über die Scheiben diskutieren, als eine Variante. Er sei gegen Schnellschüsse. Immerhin gehe es um eine finanzielle Verpflichtung  auf dreißig Jahre und über dreißig Millionen Euro. Da müsse man schon nachdenken dürfen. „Demokratie ist nun mal der Streit um den richtigen Weg“ sagt er.

Der Redakteur fragt Schachtschneider, ob er nun schon die erforderlichen 7500 Unterschriften beisammen habe oder er noch bis zur Stadtratssitzung am kommenden Mittwoch weitersammeln wolle. Ein klares Ja zum Weitersammeln des Angesprochenen.

Architekt Frießleben muß nun eine Antwort geben, ob man die häßlichen Dinger nicht einfach abreißen könne.  Ebenso hätte man die Mutter eines mißratenen Kindes fragen könne, ob sie es nicht zur Adoption freigeben wolle. Frießleben kontert mit der Relativität des Schönheitsbegriffs, Ha-Neu sei einst eine moderne Stadt von Weltniveau gewesen, ähnliche  Scheiben stünden heute immernoch in Stockholm.

An Wiegand richtet sich die Frage, warum denn plötzlich diese Eile eingetreten sei. Als die Chance da gewesen sei, dass sich Investoren für das Projekt interessierten, habe man handeln müssen. Investoren könne man nicht warten lassen.

Ob man die Verwaltungsmitarbeiter miteinbezogen habe und wie groß denn die Freude in der Verwaltung sei, ob der Vorstellung, in die Scheibe zu ziehen? „Großartig“ sagt der Oberbürgermeister, und schwärmt von der grandiosen Aussicht aus den oberen Verwaltungsetagen. Später wird er sagen, dass noch nicht klar ist, welche Verwaltungsbereiche überhaupt in das dann sanierte Objelt ziehen. „Das entscheiden wir frühestens ein Jahr vor dem Einzug“, so der OB.

Frießland soll sich zu der von dem externen „Unternehmensberater“ Rauschenbach kalkulierten Kosten von 30 Mio € äußern. Er hält das für eine realistische Untergrenze, für die reinen Baukosten hält er die Schätzung schon für realistisch. Was da noch drauf kommt, weiß er natürlich nicht.

Der MZ-Mann fragt nun Wiegand, was denn sei, wenn die beschlossenen 9,90 Miete pro Qudratmeter nicht auskömmlich seien. „Dann sei der Beschluß hinfällig“ so der OB.

Wir müssen schon sehen, ob das realistisch ist, sagt Krause mit bedenklicher Miene.  Um 327 Prozent seien die Baukosten in den  letzten Jahren gestiegen. Was ist, wenn beispielsweise die Sparkasse deswegen als Investor abspringt?

Bernd Wiegand ist sich sicher: dass die 9,90 Euro realistisch sind. Punkt.

Redakteur Skrzypczak berichtet, dass sich Sparkassendirektor Fox über die Berichterstattung seiner Zeitung beschwert habe. Wenn man so das Interesse hochjuble, treibe man die Preise in die Höhe.

Bernd Wiegand versichert daraufhin, er bleibe optimistisch.

Nun geht es ums Gefühl. Schachtschneider, die Spitze der Scheiben-Bewegung, soll über seine Gefühle reden. Das kann er und auch Begeisterung im Publikum erzeugen. Der Zuspruch aus der Bevölkerung sei das Größte, was er je erlebt habe, und da tobt der Beifall aus der Reihe von ca. 45 Rentnern unter der Rolltreppe.

Und nun darf das Publikum ran:

Herr H. hat so seine Erfahrung mit den Ämtern. Die seien nicht vernetzt, die könnten untereinander keine elektronischen Daten austauschen, das sei doch so ein gemeinsames Rathaus eine tolle Lösung. Herr B. findet, dass der OB endlich mal „Nägel mit Köppen macht“ usw.

Stadtrat Krause muss nun in der folgenden halben Stunde hart sein. Er muß sowohl die „Untaten“ der ehemaligen SPD Oberbürgermeisterin  Dagmar Szabados genau so verantworten als auch das Handeln des  Statdrats insgesamt, der ja nur quassele. „Ich gucke mir manchmal auf Halle-TV die  Satdtratssitzungen an. „Das ist doch nur Kabarett“. Da wirkt Krause unglücklich, erst recht, als ihm klar gemacht wird, dass „dor janze Schulz-Heype“ nur von kurzer Dauer sei. Sichtlich kann der  Stadtratsvertreter auch nicht damit punkten, Verantwortung für die kommende Generation wahrzunehmen, die das alles bezahlen müsse. „Das werden wir sowieso nicht mehr erleben,“ ruft Herr M, angeblich erster Arzt in Halle-Neustadt. Nun kommen noch ein paar Fragen außer der Reihe: Hallespektrum fragt den OB, ob es sich bei den Bietern um kommunale Gesellschaften handle und es sich letztendlich  um „in-sich Geschäfte“ drehe. „Nein!“,  ist die Antwort, „lassen Sie sich überraschen“.

Oberbürgermeister punktet mit Lob auf DDR-Beton

Herr S.  fragt nach der Standhaftigkeit der Bauten nach langer Zeit des Leerstands. Bernd Wiegand: „Der DDR-Beton war das beste, es gab nirgendwo etwas besseres“.  Die Seniorentruppe klatscht frenetisch Beifall.

 

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