Rio hätte es gefallen

26. November 2016 | Kultur, Veranstaltungen | 2 Kommentare
Alexander Suckel Copyright Theater, Oper und Orchester GmbH Halle; Fotos: by Anna Kolata

Alexander Suckel
Copyright Theater, Oper und Orchester GmbH Halle; Fotos: by Anna Kolata

Frau Paula Poppinga war am vergangenen Fr., 25.11.2016, im Neuen Theater zum „Ein Rio Reiser Liederabend“ und hat danach einen sehr persönlichen Brief für das HalleSpektrum geschrieben. Da sie nach eigenen Angaben „Rotz und Wasser“ geheult hat, war der Brief sehr feucht, aber zum Glück noch lesbar. Was wir in erster Linie herauslesen konnten: Paula empfiehlt allen Rio-Reiser-Freunden und auch denen, die es noch werden wollen, einen Besuch zum Liederabend im Neuen Theater.

Lieber Herr Reiser,

ich komme eben aus dem Theater, zwar nicht New York, Paris oder Barcelona, sondern nur in Halle an der Saale, aber immerhin, und wissen Sie, was dort gegeben wurde? Sie werden es nicht glauben, ich sah bzw. hörte soeben einen, halten Sie sich fest, „Rio Reiser Liederabend – Wann, wenn nicht jetzt?“

Sie werden in diesem Moment sagen: Das mit dem „Sie“ lassen wir lieber, das hatten wir doch schon durch, Paula, wir wissen doch beide wie kalt der Wind über Nordfriesland weht. – Das war doch nur eine flüchtige Begegnung, Rio, die wir beide längst vergessen haben, oder? War es im EDEKA oder war im Buchladen in Niebüll? Du warst in Fresenhagen, ich war in Ladelund. Das ist nicht weit voneinander. Wir hätten uns begegnen müssen. Der „Anarcho-Musiker“ und die ostfriesische Konservative, das waren zu unterschiedliche Welten, oder? Du hast mir trotzdem sofort das „Du“ angeboten. Du hast Dich darüber gefreut, dass ich die einzige in der Runde war, die nicht wusste, wer Du warst. Das ist nicht ganz richtig. Ich habe tatsächlich einmal ein Konzert der „Ton Steine Scherben“, Deiner Band, in Lübeck besucht, das muss so am Anfang der achziger Jahre gewesen sein, oder? Ist auch nicht mehr wichtig. Und es war Zufall, dass ich in der Konzert ging, ich habe mich über den kleinen Kerl gewundert, der da so eine Show auf der Bühne abzog. Ich dachte: Was für ein Kind! Aber deine Lieder haben mir gefallen. Es hat sich doch herausgestellt, dass wir beide nicht so radikal waren, wie wir immer taten. Dein Haus in Fresenhagen ist lange verkauft, Du wurdest nach Berlin umgebettet. Ich hatte Ladelund schon lange vor Dir verlassen, Scheidung, Trennung. Du kennst das, wir beide hatten immer mit Männern Pech.

v.l.n.r.: Andreas Range, Nils Thorben Bartling, Nicoline Schubert, Alexander Gamnitzer, Karl-Fred Müller, Mira Helene Benser, Harald Höbinger

v.l.n.r.: Andreas Range, Nils Thorben Bartling, Nicoline Schubert, Alexander Gamnitzer, Karl-Fred Müller, Mira Helene Benser, Harald Höbinger

Stell Dir einfach vor, es kommen ein paar Musiker…

Der Liederabend in Halle, meinst Du, er hätte Dir gefallen? Ich denke schon. Stell Dir einfach vor, es kommen ein paar Musiker und Schauspieler, die gut singen können, in ein verlassenes Haus und finden Deine Notenhefte und Textblöcke, egal, ob Du welche geführt hast oder nicht. Stelle es Dir einfach vor. Es ist kein Licht da, deswegen kommen sie mit Taschenlampen ins Haus. Wahrscheinlich mußte erst einmal eine Sicherung hereingeschraubt werden oder so etwas. Und schon legen sie los. Dir wurde eine unheimliche Bühnenpräsenz nachgesagt. Ich habe das live erlebt und kann es nicht bestätigen, aber am heutigen Abend warst Du sehr präsent. Unheimlich präsent. Und das vielfach: Jeder der Schauspieler, und der zwei quirligen Schauspielerinnen (es wären drei gewesen, Lena Zipp ist leider krank geworden) hat einen anderen Aspekt von Dir auf die Bühne gebraucht. Das mit den Mädchen hätte Dir sicher gefallen oder meinst Du nicht? Du bist bestimmt auch nicht immer richtig getroffen worden. Außerdem hatte jeder im Publikum sein eigenes Bild von Dir mitgebracht. Und diese Masse an Erwartungen können selbst eine Handvoll singender Schauspieler nicht erfüllen. Aber was habe ich geheult an einigen Stellen! Nie warst Du für mich lebendiger als heute!

v.ln.r,: Nils Thorben Bartling, Andreas Range, Alexander Gamnitzer, Mira Helene Benser, Nicoline Schubert

v.ln.r,: Nils Thorben Bartling, Andreas Range, Alexander Gamnitzer, Mira Helene Benser, Nicoline Schubert

Das Bühnenbild hätte Dir gefallen. Schlichtheit sind wir vom Neuen Theater gewohnt und heute Abend hat es mir besonders gut gefallen. Du erinnerst Dich sicher genauso gut wie ich an die alten Türen, die wir in den Häusern in Nordfriesland hatten. Beim Liederabend bestand das Bühnenbild aus alten Türen, quasi als Eingänge in Deine Lieder und großen Kisten, die für mich die vielen Bühnen symbolisierten, auf denen Du auf Demos und in Konzerten gestanden hast.

Ganz ohne Junimond? Natürlich nicht!

Du willst sicher wissen, welche Lieder von Dir gespielt worden sind. Wollen wir wirklich alles verraten, mein Guter? Wollen wir den zukünftigen Theaterbesuchern nicht noch das Vergnügen lassen, sich vom Neuen Theater und den tollen Darstellern (Mira Helene Benser, Nicoline Schubert, Lena Zipp, Nils Thorben Bartling, Alexander Gamnitzer, Harald Höbinger, Karl-Fred Müller, Andreas Range, Alexander Suckel  und ihrer Band „Preliminary Injunction“: Holger Gottwald, Roberto Volse, Ralf Schneider) überraschen zu lassen. Ich kann Dir aber verraten, der melancholische Teil Deines Werkes, die Balladen, hat den Abend dominiert. Die Revolution fand woanders statt. Sehr gut gefallen hat mir die vielstimmige Fassung von „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“. Ein Mottolied des Abends war „Wann“ und das andere, es wird Dich überraschen, war „Stiller Raum“, dann ging der Vorhang wieder zu, der Liederabend war vorbei. Als „Zugaben“ gab es „Blinder Passagier“ und „Junimond“.

Es war übrigens die Premiere. Das habe ich Dir am Anfang gar nicht erzählt, weil Du mich ohnehin für einen Snob gehalten hast. Ich habe gedacht, Du würdest mir irgendwann „Ausbeuterin“ ins Gesicht sagen. Aber dazu warst Du viel zu charmant. Weißt Du was, ich nehme bald meine derzeitige bessere Hälfte ins Neue Theater mit (mein Pech mit Männern, Du weißt schon) und zeige ihm noch einmal eine ganz andere Seite von mir. Vielleicht verläßt er mich dann, aber das nehme ich gerne in Kauf, in dem Fall war er ohnehin nicht der Richtige.

So, Rio, wo immer Du jetzt auch bist, ich hoffe, Du hast Dich über diese Nachricht von mir gefreut. Du bist nicht vergessen und Deine Lieder sind es schon gar nicht.

Deine Paula Poppinga

Weitere „Rio-Reiser-Abende“ gibt es am 26.11.16 | 03.12.16 | 28.12.16 | 27.01.17 – jeweils um 19.30 Uhr

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