Raumbühnenlandschaft macht Lust auf Oper

14. September 2016 | Kultur, Veranstaltungen | 2 Kommentare
Musikalische Leitung JOSEP CABALLÉ-DOMENECH, Regie FLORIAN LUTZ, Bühne SEBASTIAN HANNAK

Musikalische Leitung JOSEP CABALLÉ-DOMENECH, Bühne SEBASTIAN HANNAK, Regie FLORIAN LUTZ,

Das Opernhaus Halle bot am 13. Sept. von 18 Uhr bis weit nach 20 Uhr eine Opernkostprobe für Neugierige, Ungeübte und Opernsüchtige an. Ich muß schon sagen: Wir sind nicht enttäuscht worden.

Der ersten Blick auf die Raumbühne vom "Olymp"

Der ersten Blick auf die Raumbühne vom „Olymp“

Kinder des Olymp

Es ist sicher nicht nur in Halle so. Wenn es etwas umsonst gibt, sind die Leute schon deswegen da. Aber das wird nicht der einzige Grund gewesen sein, warum das Opernhaus an diesem hitzigen Septemberabend gut gefüllt war. Es war auch ganz, ganz viel Neugierde. Auch das Hallespektrum machte sich nach Bewältigung der Erwerbstätigkeit auf, um dem journalistischen Hobby nachzugehen. Doch bevor wir an die Plätze kommen konnten, schlossen sich überall die Tore und freundliches Personal machte mit einem Lächeln klar, hier ist kein Reinkommen. Gott, es existierte noch der zweite Rang. Auch im Opernhaus gibt man gerne die „Kinder des Olymp“!

Lutz Florian angespannt mit fröhlichen Besuchern

Florian Lutz angespannt mit fröhlichen Besuchern

Unter uns bedeckten Teile der Raumbühneninstallation das Parkett und den ersten Rang. Wir schauten voller Neid auf die Glücklichen, die auf Wohnzimmersofas Platz genommen hatten. Ein Fernsehteam schwenkte mal hierhin, mal dorthin. Zum Glück gab es kühles Naß im Foyer, die Dame dort hätten wir knutschen können! Nachdem sich die bereits erwähnten Neugierigen, Ungeübten und Opernsüchtigen beruhigt hatten, erschien eine heilige Dreiopernhaftigkeit auf der Bühne, Intendant/Regie Florian Lutz, Bühne: Sebastian Hannak und „Viva la Musica!“ Josep Caballé-Domenech, und erklärte die neue Premierenproduktion und die Hintergründe dazu, das Prinzip der Raumbühne und wie die Musik darin eingebunden werden kann. Florian Lutz möchte das Richard-Wagner-Stück in die Wirklichkeit holen und auch die darin enthaltende Kapitalismuskritik unterstreichen. Zu Sebastian Hannaks Rauminstallation kommen wir gleich praktisch. Caballé-Domenech erklärte, welche musikalische Aufgabe es darstellt, in einer Rauminstallation mitten im Publikum ein komplexes Stück wie eine Wagner-Oper aufzuführen. Noch konnten wir es ihm nicht nachempfinden, später, als er im „Opern-Schützen-Graben“ zwischen allen Beteiligen stand, schon und hätten ihm am liebsten den Dirigenten-Aufopferungs-Sonder-Orden verliehen.

Am Cafétisch mitten im Geschehen, Schürzchen um und brav Perücke aufgesetzt

Am Cafétisch mitten im Geschehen, Schürzchen um und brav Perücke aufgesetzt

Am Seil in die Oper

Nach dem Erklärungsteil durfte das Kostprobenpublikum den Saal verlassen, um die ersten Eindrücke zu verdauen. Nun konnten Abrisskarten gezogen werden, um festzustellen, auf welchem „Deck“ des „Fliegenden Holländers“ die Opernkurzreise beginnen darf. Florian Lutz rannte mit angespannten Gesicht herum, um sicherzustellen, dass das „Einschiffen“ auch an allen Rampen gut verläuft. Wir wählten das grüne Deck und auch wenn das Einchecken in diesem Probedurchlauf noch Probleme machte, nahm uns am Ende doch eine freundliche Stewardess in Empfang und setzte uns allen schwarze Augenmasken auf, um uns am dicken Tau in das wagnersche Geschehen hineinzuziehen.

Mitbesucherin oder Chorsängerin?, fragt sich der verwirrte Neugierige

Mitbesucherin oder Chorsängerin?, fragt sich der verwirrte Neugierige

Die Ouvertüre galt es im Dunkeln zu überstehen, und die ist war selbstverständlich auch bei der Kostprobe lang, durch den Mahlstrom der wagnerschen Harmonien gelangten wir an Deck des „fliegenden Holländers“. Kurz über eine Mülltonne gestolpert und einem freundlichen Hinweis folgend fanden wir auf einem Zwischendeck am Cafétisch einen guten Platz „außerhalb“ des Getümmels und atmeten schon auf. Doch schon wurden wir freundlich aufgefordert, eine weiße Perücke aufzusetzen und ein Schürzchen umzubinden. Zum Glück für das Klangerlebnis aller wurden wir nicht ermuntert, auch noch mitzusingen. Doch waren die Grenzen zwischen Publikum und Darsteller ständig fließend. Gerade erhob sich der Holländer am Tisch zum Singen, die Chorsängerin hinter mir fiel in den Chor ein, waren die Bauarbeiter unten Kostprobengäste oder Chorsänger?

Musikalischer Kapitän: Jo Caballé-Sparow dirigiert im kleinen Fernseher das Orchester

Musikalischer Kapitän: Jo Caballé-Sparrow dirigiert im kleinen Fernseher das Orchester

Oper zum Mitmachen

Unter uns werden die Zuhörer zwischen den Sängern, Chormitglieder, Pressefotografen (oder gehörten die dazu?) hin und her geworfen, als wären sie in der Brandung des gnadenlosen Kapitalismusmeeres geraten. Dazu flimmern überall Leinwände und Fernseher, auf denen die Handlung in einer anderen Perspektive zu verfolgen war. Oder man schaute dem Dirigenten dabei mitten ins Gesicht, wie er versucht, Kurs zu halten in diesem „Oper-Zum-Mitmachen-Inferno“.

Die Oper beginnt, der Tenor als Bob und die Bauarbeiter, "können wir die Oper schaffen, wir schaffen das!"

Die Oper beginnt, der Tenor als Bob und die Bauarbeiter singen: „können wir die Oper schaffen, wir schaffen das!“ (nein, natürlich nicht!)

Tatsächlich ist Josep Caballé-Domenech der eigentliche Kapitän auf unserem „Fliegenden Holländer“ und wir gaben unsere armen Seelen in seine Hände. Die anwesenden Hallespektrum-Besucher fühlten sich nicht kompetent genug, um hier den Musikkritiker zu geben. Aber das Klangerlebnis auf unserem Zwischendeck war dem Neugierigen und dem Ungeübten in der Mitmachkulisse aufregend genug, ob der Opernsüchtige genug auf die Ohren bekam, haben wir leider noch nicht gefragt. Es ist schwer den Kurs zu halten, wenn auf der Raumbühne bürgerkriegsähnliche Zustände ausbrechen.

Richtige oder inszenierte Presse? Nichts war so, wie es schien

Richtige oder inszenierte Presse? Nichts war so, wie es schien

Florian Lutz versucht mit der Action-Brechstange die Oper in das „Hier und Jetzt“ zu holen. Gelingt ihm das? Auch das können wir nach der Kostprobe, diesem Oper-Inferno-Probierhappen natürlich nicht beurteilen. Aber wir wollen Sie neugierig machen, sich einfach darauf einzulassen, den Konsumtempel zu verlassen und mitten in der Oper mitten im Geschehen zu sein. Und egal, ob Sie sich auf einem der Decks oder im Olymp für die Fahrt im „Fliegenden Holländer“ rüsten, kommen Sie nicht „kleinen Schwarzen“ oder dem „Designer-Anzug“, denn auf diesem Opernschiff wird man ganz schön durchgeschüttelt. Bei Zweifeln oder Fragen berät man sie sicher gern an der Opernkasse oder dem Opernratgeber ihres Vertrauens. Wir wünschen schon mal: Ahoi und fröhliches Sturmgebraus! Denn wenn Oper so ist, können wir sie wirklich für jung und alt empfehlen. Auch wenn die Nörgler sicher meinen: Das ist mehr Erlebnis als Oper. Nein, das ist Opernerlebnis, Meiner ! So ein bißchen frischer Wind tut gut auf allen Decks! Ach ja, die Premiere ist am 23. SEPTEMBER 2016 um 19.30 Uhr in der Oper Halle / Raumbühne. Weitere VORSTELLUNGEN: 28./30.9.16, 8./30.10.16, 4./6.11.16, 10./12.3.17, 16./21.6.17 in der Oper Halle/ Raumbühne

Die Seeleute im Festtaumel oder doch im Bürgerkrieg?

Die Seeleute im Festtaumel oder doch im Bürgerkrieg?

Oper wirklicher als der falsche Schein

Zu Hause angekommen, lief der Fernseher mit einer unwirklichen Farce über Kapitalisten, die finanzgierige Start-up-Unternehmer/innen unterstützen sollen/wollen. Da war die Oper plötzlich wirklicher als die Scheinwelten und inszenierte Wirklichkeiten, die die Unterhaltungsindustrie anbietet. Mir wurde schlecht, sehr wirklichkeitsschlecht, nicht seekrank. Holländer, brauchst du noch ein paar Schiffsjungen?

 

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