Empörer wider Willen

9. Juli 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben, aber der Kaiser verliert dieses Mal. Es gibt zwei Handlungsebenen: Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn war hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Bischof Adalgot hat Unterschlupf im Kloster Drübeck erhalten. Dort erhält er Verstärkung durch die Groitzscher. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere:

Das Kloster Drübeck

Im Kloster Drübeck

Erst am nächsten Tag saßen wir um das Kaminfeuer und konnten reden. Der Erzbischof war munter, wieder Herr der Lage und übernahm selbstverständlich die Führung. Heinrich von Groitzsch war mit seinem Hauptmann Odwin von Lütgenziatz da. Auch die Abtissin von Drübeck ließ es sich nehmen, persönlich bei uns zu sein. Natürlich in Begleitung ihres Vogtes. Die Drübeckerin war nicht so mächtig wie die Abtissin des Stiftes in Quedlinburg, doch besaß sie großen Einfluss am Nordrand des Harzes.

„Das nenne ich Empörer wider Willen“, sagte Heinrich gerade zu Odwin, als ich eintrat. Die Abtissin hatte uns in ihre beheizbaren Räume geladen.

„So ist es“, nahm mein Freund Adalgot den Faden gelassen auf, „Diesen Krieg gegen den Kaiser wollte ich nicht, aber ich bin bereit, ihn zu führen, wenn er mir auf solche Weise aufgezwungen wird. Ich habe es mehrmals versucht, aber Kaiser Heinrich will nicht zur Vernunft kommen, sondern er trachtet selbst friedlichen Kirchenmännern wie mir nach Freiheit und Leben. Der Herr weiß, ich bin nicht der Einzige, aber das Schicksal des Mainzers blieb mir dank der Fürsorge des Herrn durch die Gestalt des Ernst von Severn erspart.“ Bei diesen Worten merkte ich auf. Adalgot fuhr fort: „Ich entlasse dich deswegen aus dem ungerechten Dienst des Kaisers. Keiner soll dich mehr Dienstmann, denn einen freien Mann nennen!“

Frei, das war etwas, was ich in meinen Leben niemals war. Ich war überrascht und wusste noch nicht, was das in Zukunft für mich bedeuten würde. Ich war davon ausgegangen, dass ich nun in die Dienste Adalgots oder Herzog Lothars treten würde, aber Gott hatte einen anderen Weg für mich bestimmt. Wohin er führen würde, wusste ich noch nicht.

„Ich danke dir, Herr Adalgot“, sagte ich schlicht. Er winkte ab, „Genug, es wäre schön, wenn ich zur Stunde mehr für dich tun könnte, aber wir haben jetzt andere Dinge zu tun: Wo sammelt Herzog Lothar sein Heer?“ So wandte er sich an den Groitzscher, der antwortete: „In Walbeck. Wir haben es befestigt. Von dort aus haben wir dem Hoier von Mansfeld viel Schaden gemacht.“

Die Schrecken des Krieges

Das konnte ich mir vorstellen. So geschah es immer wieder: Die Männer mussten sich versorgen und schadeten damit dem Feind. Sie hielten sich an den Bauern schadlos und stürzten damit ganze Landstriche ins Elend. Wenn ein Bauer zur Axt griff, wurde er niedergemacht. Waren die Zügel ganz losgelassen, begnügten sich die Reiter und Speermänner auch nicht nur mit dem Plündern und gelegentlichen Niedermachen. Sie verwüsteten die Dörfer und Äcker, schändeten die Frauen und erschlugen die Männer, überließen am Ende alles dem Hunger, Durst und Tod. Alles von dem, was ich erzähle, kenne ich nicht etwa aus Erzählungen. Nein, ich habe es selbst gesehen und schlimmer noch, ich habe selbst lange genug das Handwerk des Krieges betrieben. Ich war selber voller Angst und Hunger und habe mir genommen, was ich bekommen konnte. Ich habe selbst dem Dorf die letzte Ziege weggenommen und geschlachtet. Ich habe die Mutter vor den Augen ihrer Kinder geschändet und umgebracht. Ich habe die Kinder erstochen und den ältesten in unsere Mannschaft gepresst. Ich bin selbst aus einem Dorf in den Pyrenäen, in dem nur noch die Grundmauern der Kirche an Mutter, Vater und den Lehrer, unseren Pfarrer erinnern, erinnern. Unsere Familie lebt nur fort, weil ich meinen Samen in Halbwüchsige pumpte, die das Glück hatten, dass wir zu besoffen waren, um sie umzubringen, und sie die Bälger haben leben lassen. Denn das ist das Los der Mütter, sie lieben ihre Kinder, selbst wenn sie auf diese Weise über sie kamen. Die meisten und die schwersten meiner Sünden habe ich bereits vor langer Zeit meinem Freund, dem Herrn Adalgot, gebeichtet und er hat mir Absolution nur erteilen können, wenn, wir er meinte, auch der Herr mir verzeihen könnte, aber das sei nicht sicher und niemand könne sich da Hoffnung machen, noch nicht einmal er, denn er sei gewiss auch ein Sünder.

Walbeck, von dem die Männer des Herzogs aus, den Bauern des Mansfelder Lands alles antaten, für das ich mir bezüglich eines ewigen Lebens keine Hoffnung mehr machen konnte, war ein alter Königshof, der aber seit langer Zeit den Damen von Quedlinburg gehörte. Was heißen konnte, dass auch diese den Herzog von Sachsen unterstützten. Genauso, wie die hohe Dame von Drübeck auf Seiten des Erzbischofs stand und ihn unterstützte. „Gut“, sagte Adalgot, „Dorthin werden wir also ziehen. Allerdings …“, er machte eine Pause, „können wir das nicht ohne Rüstung und Heer tun. Meinen Diener Heinrich schicke ich nach Magdeburg, mir meine Kriegskleidung und eine gute Anzahl Reiter zu holen.“

„Odwin kann ihn mit einigen Männern begleiten“, stimmte der Groitzscher zu, „Wir würden uns also sogleich zu Lothar begeben!“ Er war hocherfreut, denn die Groitzscher wussten sich verwandt mit Adalgot, kannten ihn aber auch als kaisertreu und nicht als kriegslustig. Das er sich auf ihre Seite schlug, hatten sie nicht in ihren kühnsten Träumen erwartet.

„Gewiss“, fuhr der Erzbischof fort, „Heinrich, wie viele Männer kann uns Hazecho und Halle stellen?“ Heinrich von Giebichenstein antwortete sogleich: „Einhundert Speermänner, wenn Giebichensteiner, Ringlebener und Hallenser zusammenkommen, aber die wenigsten haben kriegstaugliche Pferde.“

„Sie sollen auch nur als Speermänner zu Fuss dienen! Ich gebe Imradus meinen Freund Ernst mit, wenn einer in Kürze aus den Männern einen kriegstauglichen Haufen machen kann, dann ist er es. Er rechnet es sich zu Recht als Schande an, aber von diesem Handwerk versteht er etwas.“

Der alte Heinrich sah mich an und nickte erfreut. Wir hatten beide Respekt voreinander. Ich war nun ein freier Mann, doch wusste ich, ich war nicht mehr als ein Diener wie Heinrich, in seinen Augen womöglich sogar weniger. Immerhin wurde ich gefragt, ob mir der Dienst behagte: „Ernst, bist du einverstanden? Du hast schon viel für mich getan, aber ich wüsste keinen besseren Mann, die Männer von der Saale heil in den Kampf und wieder heraus zu bringen.“, wandte sich Adalgot an mich. Ich nickte. Er hatte recht. Um einen unerfahrenen Haufen in diesen Kampf zu führen, brauchte es einen guten Hauptmann. Einen Hauptmann, der Gott auf seiner Seite hatte, und da war ich mir nicht mehr so sicher, ob das auf mich zutraf.

Schild an Schild

Ich sah ich vor mir verängstigte und schwitzende Männer. Ich sah Schild an Schild, Lanzenschäfte, kürzlich erst geschärfte Schneiden, breit und scharf zum Zerteilen von Fleisch, menschlichen Fleisch wohlgemerkt. Ich würde mir einen Gesang ausdenken müssen. Ja, Gesang war wichtig. Unser Hauptmann Fortún Maca sang immer etwas vor. Schildschlagen würden sie lernen müssen. Das beruhigte die Nerven und verunsicherte die Pferde des Feindes. Ja, wenn einer die Hallenser heil herein- und wieder herausführen konnte, war ich es. Möge Gott mir noch einmal, ein einziges Mal, beistehen!

„Ich bin einverstanden, Herr Adalgot“, sagte ich ruhig, „Du wirst deine Speermänner erhalten, bessere wirst du nicht bekommen, das verspreche ich.“ Und so war es auch!

Der Januar war mit Ritten, Sammeln und Marschieren ausgefüllt. Die Mannschaft aus Halle bestand nach Ausrufung des Heerbannes aus über 120 Männern, 20 Reitern, 20 Bogenschützen und 80 Speermännern, die alle meiner Schlachtenerfahrung vertrauten. Walbeck platzte bereits Ende Januar aus alle Nähten. In aller Eile waren Hütten aus Holz errichtet worden, halb in den Boden eingegraben, da die Witterung zu kalt für Zelte war. Zudem waren nicht genügend Zeltplanen vorhanden. Die Herren sparten gerne an derlei Dingen, wie ich wusste. Weitere Gefolgsleute des Erzbistums, Vasallen, Ministeriale und Magdeburger Bürger hatten unser Aufgebot um über 100 Männer verstärkt. Herr Adalgot ordnete sofort an, dass die Fußsoldaten alle unter mein Kommando gestellt wurden. Ich zählte in Walbeck zum Adel, obwohl ich niemals edel war, aber hier kannte nur mein Freund meine bäuerliche Herkunft.

Die Herren von Severn

„Die Herren von Severn“, sprach er kurz zum Herzog, „Kämpfen aus den Pyrenäen heraus bereits ewig gegen die heidnischen Mauren und stammen von den edlen Goten ab. Herr Ernst ist der letzte seines Namens.“ Das genügte.

Herzog Lothar ritt oft durch das Heerlager und munterte die frierenden Männer auf, die jedes Feuer und jeden Sonnenstrahl nutzten, um sich aufzuwärmen. Einige Adlige und Vasallen vertrieben sich die Zeit damit, weiterhin die Ländereien Hoier von Mansfeld zu verwüsten. Wir sahen in der Nacht die Brände. Wer von den Bauern nicht rechtzeitig fliehen konnte, wurde erschlagen. So ging der Krieg zwischen Christenmenschen nicht gesitteter zu als zwischen Ungläubigen und Christen. Die Vorstöße, bei denen sich die Groitzscher Brüder Wiprecht und Heinrich besonders hervortaten, nahmen zu, als uns die schlimmen Nachrichten aus Braunschweig und Halberstadt erreichten. Beide zu den Verbündeten gehörenden Städte waren vom Kaiser erobert, geplündert und zerstört worden. Ich hatte noch nie in meinem Leben so einen Zorn gesehen, wie ihn der Bischof Reinhard von Halberstadt an den Tag legte. Wäre es möglich, so würde er den Salier bis in die Hölle und darüber hinaus verfolgen. Verbale Glut und Höllenfeuer genug für mehrere Vorhöllen geiferte er jedenfalls tagelang in die Welt hinaus. An den Rachezügen beteiligte er sich jedoch nicht, im Gegenteil, versuchte die Männer zurückzuhalten und für den „wahren Kampf“, wie er es ausdrückte, zu festigen. Noch konnte dieser jedoch nicht beginnen. Wir erwarteten Otto von Ballenstedt, erst mit ihm zusammen wollten wir dem Kaiser entgegen treten.

So kam am ersten Tag des Februar Adalgot ans Feuer zu unserer kleinen Magdeburger Hauptmannschaft, bestehend aus Hermann von Sponheim, Heinrich von Giebichenstein, Hazecho von Halle und mir, und ließ uns ausrichten, dass wir am nächsten Tag in Richtung Orlamünde aufbrechen würden. Denn die Führer des verbündeten Heeres, zu denen er gehörte, hätten beschlossen, dem Grafen Siegfried zu Hilfe zu eilen, der um das Weimarer Erbe kämpfte, und in seiner Burg von Kaiserlichen belagert wurde.

„Was ist mit dem Kaiser selbst und wo steckt Graf Otto?“, fragte ich. Ein Diener stellte Adalgots Scherenstuhl zu uns ans Feuer. Es gab gewärmtes Bier, der Wein war uns inzwischen ausgegangen.

„Der Rex sammelt seine Truppen in Wallhausen und traut sich nicht heraus. Die Zahl seiner Verbündeten hat in letzter Zeit stark abgenommen.“

Wallhausen war nicht weit von hier, lag südlich des Harzes. Ging es gen Orlamünde, könnte er uns den Weg abschneiden. Mein Freund fuhr fort: „Otto wird nicht kommen. Einige seiner Männer sind voraus geritten und bereits hier. Er selbst aber ist in Richtung Köthen abgebogen. Eine größere Heerschar der Wenden hat die Elbe überquert, wie er erfahren hat. Der Herzog vermutet, das die Wenden Geld vom Kaiser erhalten haben und die Erlaubnis zu plündern.“

Die Wenden kommen!

Ich sagte: „Derlei gekaufte Verbündete sind langsam und schwer zu bändigen.“ Burggraf Hermann brummte: „Also gleich zwei Ablenkungsmanöver, um uns aus Walbeck herauszulocken.“

Adalgot nickte: „So wird es sein. Herzog Lothar denkt wie du. Aber er fragte uns, was eher in unserem Interesse läge, unser Land vor den Wenden zu schützen oder Graf Siegfried beizustehen. Wir antworteten, natürlich läge uns mehr an unserem Land. Genau, meinte der Herzog, und deswegen wird auch der Kaiser davon ausgehen und versuchen uns in den Rücken zu fallen. Dann haben wir die Wenden vor uns und den Kaiser mit dem Dolche im Rücken. Wir sollten also lieber einen nach den anderen schlagen. Ich weiß nicht, wie es euch damit geht, aber mir ist der Kaiser als erstes lieber. So stimmten wir alle zu und es ist beschlossen. Derweil zieht Graf Otto mit nur allerhöchstens 60 Mann den Wenden alleine entgegen. Wir sollten für ihn beten. Er wird es nicht überstehen.“

Das taten wir, denn wir machten uns keine großen Hoffnungen, ihn jemals lebend wiederzusehen. Wir selbst brachen nach Herzog Lothars Wille in südlicher Richtung auf Orlamünde auf. Wir waren kaum unterwegs, da wurde das Wetter noch schlechter. Aber nicht nur uns schreckte das nicht, denn Heinrich von Groitsch, der mit seinen Reitern dem Heer voraus zog, meldete, dass die Kaiserlichen von Wallhausen aus aufgebrochen waren, um uns den Weg abzuschneiden. Wir zogen mitten durch Mansfeld und Graf Hoier, der kaiserliche Heerführer, hatte wohl genug davon, den Hauptschaden des Krieges zu tragen. Zusammen mit dem Groitzer hatte Adalgot den Ringlebener Hartfried zum Kaiser geschickt, um Verhandlungen anzubieten und um ihn zur Vernunft zu bringen. Es fruchtete nicht. Hartfried sagte, er könne froh sein, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Das Angebot der Fürsten hatte den Kaiser erst recht wütend gemacht.

Am 10. Februar steckten wir in einem Schneesturm fest und errichteten am Rand des Landstrichs, der Welfesholz genannt wird, ein festes Lager. Zwar gab es einige Geplänkel mit den Kaiserlichen, aber durch den Sturm und undurchdringlichen Schneefall war an Kämpfen nicht zu denken. Die Feuer auf beiden Seiten brannten die ganze Nacht durch. Lothar ritt mit Bischof Reinhard umher und zählte von einem Hügel aus die Feuer. Er tat dies persönlich. Als er an unserer Lagerstatt vorbeikam, wirkte er heiter und zuversichtlich.

„Wäre ich der Kaiser“, rief er unserem Erzbischof zu, „Würde ich mich jetzt nach Wallhausen zurückziehen.“

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

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