Die Tragik des Allgemeingutes

21. Dezember 2016 | Kultur, Nachrichten | 8 Kommentare
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Die Bücherzelle in Halle-Neustadt

Nicht nur die von den Freunden der Stadtbibliothek in Halle-Neustadt aufgestellte Bücherzelle wird regelmäßig „ausgeleert“. Auch die Littlefreelibrary-Bewegung (kleine Bibliotheken in Boxform, die nach dem Motto „Bring ein Buch, hol ein Buch“ arbeiten) in den USA klagt über Häufung derartiger Vorfälle: Egal ob San Francisco oder kleine Orte in Iowa. Leute fahren vor, räumen die Bibliothek aus und brausen weg, auch wenn Ihnen Leute hinterrennen oder sie ansprechen. Die Bücher zu stempeln oder zu kennzeichnen ist ein Weg den Weiterverkauf in Antiquariaten zu verhindern, schwarzen Schafen im Gewerbe ist das auch egal und beugt auch nicht vor Online-Verkäufen oder dem Verkauf im Altpapiergewerbe vor. Tatsächlich sind einige der gestohlenen Bücher im Weiterverkauf wiederaufgetaucht.

Theorie der Tragik des Allgemeingutes

Die amerikanischen Kollegen von The digital Reader sehen dies als Beweis der „Tragik des Allgemeingutes“, einer wirtschaftwirtschaftlichen Theorie, die aussagt, dass „frei verfügbare, aber begrenzte Ressourcen nicht effizient genutzt werden und durch Übernutzung bedroht sind, was auch die Nutzer selbst bedroht.“ (Wikipedia). Davon abgesehen, dass sich die Theorie selbst als teilweise falsch herausgestellt hat, zudem eine  ideologische Verklärung des Privateigentums gegenüber Gemeineigentum als Zielstellung hatte, trifft die Theorie auch nicht auf das Prinzip der Öffentlichen Bücherzellen oder der Littlefreelibraries zu. Denn hier stellen Privatpersonen oder Institutionen Resourcen (Bücher) zu Verfügung, die sie selbst nicht mehr nutzen wollen. Natürlich ist daran zuerst gedacht, dass andere Menschen die Bücher lesen, das trifft auch auf die Mehrzahl zu, aber ausgeschlossen werden kann nicht, dass Büchervandalen andere Nutzungsmöglichkeiten in den Resourcen sehen. Sie nehmen damit zunächst niemanden etwas weg, die Resourcen sind ja frei verfügbar, es kann aber dazu führen, dass das Angebot ganz verschwindet. Damit schädigt der Mißbraucher nicht die Allgemeinheit, deren Glieder haben noch andere Möglichkeiten an Lesestoff zu kommen, sondern in erster Linie sich selbst.

Eine kleine freie Bibliothek (Little free library) in Halle

Eine kleine freie Bibliothek (Little free library) in Halle

Er war zu gierig. Das Angebot wird ihm ggf. entzogen, er muß sich andere Betätigungsfelder suchen. Auch der Spender wird nicht geschädigt, jedenfalls nicht materiell, denn er hat die Bücher kostenlos zur Verfügung gestellt. Er wird allerhöchstes traurig sein, dass seine gutgemeinte Idee in seiner Umgebung nicht funktioniert hat. In unserer vernetzten Welt wird er aber feststellen, an anderen Orten funktioniert die Idee sehr wohl. Alle halten sich an die Spielregel: „Nimm ein Buch, bring ein Buch.“ Oft bringen sie sogar mehrere Bücher mit. Würde man die Verluste an den wenigen Orten mit den Zuwächsen an den vielen Orten aufrechnen, könnte die Bilanz möglicherweise positiv ausfallen. Und das sollte den Betreibern der Bücherzelle in Halle-Neustadt und den geschädigten Paten der Littlefreelibraries zumindest etwas Hoffnung und Zuversicht geben.

Paula Poppinga

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