Das Puzzle aus 10.000 Scherben

24. November 2016 | Kultur | 2 Kommentare

Da die neue Sonderausstellung „Alchemie – Die Suche nach dem Weltgeheimnis“ im Landesmuseum für Vorgeschichte ab morgen für Besucher geöffnet hat, blickt Halle-Spektrum hinter die Kulissen. Dieses Mal beleuchten wir die Restaurierung der Wittenberger Alchemistenfunde.

Sonderausstellung Alchemie Atrium

Im Atrium des Landesmuseums schweben die alchemistischen Arbeitsgeräte über einer Abbildung der Stein der Weisen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen etwa 50 alte Arbeitsgeräte der Alchemie-Werkstatt in Wittenberg aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie waren auch der Ausgangspunkt der Entdeckung. Archäologen fanden an der nördlichen Außenwand der ehemaligen Franziskanerkirche in einer Abfallgrube unzählige Scherben. Der Leiter der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte, Dr. Christian-Heinrich Wunderlich, hielt den Fund zunächst für banal. „Ehrlich gesagt wollte ich die vielen Kisten mit den Glasscherben dem Zentraldepot übergeben.  Aber dann habe ich mir sie doch noch mal genauer angesehen“, beschreibt Wunderlich die Anfänge seiner Arbeit. Er erkannte rötliche und gelbbraune Ablagerungen und analysiert die Scherben im Landeskriminalamt in Magdeburg, mit dem das Landesmuseum kooperiert. Dort konnte er mithilfe moderner Analysegeräte seine erste Vermutung bestätigen: An den Scherben haften unter anderem Quecksilber, Antimon und Spuren der Schwefelsäureherstellung.

Vera Keil

Vera Keil mit einem Teil des Fundes aus Huysburg.

Anschließend klebte die Restauratorin Vera Keil in mühevoller Kleinarbeit die Scherben zusammen. „Am Anfang war es recht schwierig, da ich nicht wusste, was am Ende rauskommen wird. Ich habe wie bei einem Puzzle mit den offensichtlichen Teilen angefangen und mich dann langsam vorgearbeitet“, erinnert sie sich. Dabei ordnete sie die Scherben zunächst nach Gruppen, wobei ihr unter anderem Herstellung- und Gebrauchsspuren halfen. Zunächst dachte sie, der Fund würde aus vielen Schalen bestehen. Doch nachdem auch immer mehr Rohre entstanden, wurde klar, dass es sich um Retorten, also Destillationskolben zur Destillation von schwerflüchtigen Substanzen wie Schwefelsäure, handeln musste.

Keil saß anderthalb Jahre fast täglich an den über 10.000 Scherben, die etwa 20 Quadratmeter der Restaurierungswerkstatt einnahmen. Sie befreite die Bruchkanten von den Lehmschichten, die als Hitzeschutz auf den Arbeitsgeräten dienten, und klebte sie anschließend zusammen. „Für die meisten ist es eher abschreckend, wenn ich erzähle, wie lange das gedauert hat“, schmunzelt sie. Sie musste bei der Arbeit mit den Glasscherben, die teilweise so dünn wie eine Glühbirne waren, besonders vorsichtig sein und aufgrund der abgelagerten Substanzen ununterbrochen Handschuhe tragen.

Heutzutage gibt es zwar auch computergestützte Verfahren, die beim Zusammensetzen helfen. Aber um dreidimensionale Objekte zu erfassen, benötigt man einen 3D-Scanner, die auch in der Archäologie bereits angewendet werden. „Allerdings konnten wir dieses Verfahren hier nicht einsetzen, da Glas spiegelt und der Scanner so nicht funktionieren würde. Dazu braucht man dann einfach die Expertise und Erfahrung einer Restauratorin“, erklärt Dr. Wunderlich. Langsam entstanden durch Keil Gefäße, mit denen man die beschriebenen Versuche nachstellen konnte. Sie schaffte es sogar, fast alle Scherben zusammen zu setzen. Und so entstanden etwa 12 Cucurbiten, 3 Alembiks, 1 Phiole, 2 Aludeln, etwa 10 Schmelztiegel sowie 6 Stangengläser und circa 10 Keramikgefäße, die zu alchemistischen Zwecken umfunktioniert wurden.

Dr. Christian-Heinrich Wunderlich

Dr. Christian-Heinrich Wunderlich sucht den Stein der Weisen.

Aufgrund dieses Fundes wurde man während der Flut 2013 auf einen anderen Fund im Lager des Landesmuseums in Trotha aufmerksam, der ebenfalls in der Sonderausstellung zu sehen ist. Hierbei handelt es sich um eine andere Alchemie-Werkstatt aus dem 17. bis 18. Jahrhundert im Kloster Huysburg im Harz, die rein metallogisch, also nur auf die Bearbeitung von Metallen ausgerichtet war. Dieser Fund war zwar weniger umfangreich als der in Wittenberg. Aber auch hier konnte Keil aus den Überresten wieder einiges zusammensetzen: unter anderem 4 Alembiks, einen gläsernen Cucurbiten mit einem Fassungsvermögen von 25 Litern sowie eine große Retorte aus Steinzeug, die ebenfalls Antimonverbindungen und Reste von Eisensalzen enthielt und möglicherweise zur Herstellung von „rotem Antimonöl“ diente. „Ich bin mir sicher, dass es noch andere Funde ähnlicher Art gibt, die sich in ganz Deutschland in den Lagerräumen von Museen befinden. Nur weiß niemand, dass es sich um alchemische Funde handelt“, so Wunderlich.

 

Nicole Kirbach

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