Brandneue Texte aus Sachsen-Anhalt
11. Mai 2017 | Kultur | Ein KommentarSo wie „Der arme Poet“ von Spitzweg müssen Künstler und Autoren heute nicht mehr leben. Dafür sorgen Gottseidank die Kunststiftungen, auch die von Sachsen-Anhalt. Sie unterstützt nicht nur junge Autoren bei der Umsetzung ihrer künstlerischen Ideen, etwa durch die Vergabe von Arbeitsstipendien. Und durch Veranstaltungen, in denen die Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt werden können. Wie gestern Abend bei der 5. Jahresablesung, als die Literatur-Stipendiaten des vorigen Jahres – von MZ-Kulturredakteur Peter Godazgar dieses Mal etwas lieblos moderiert – aus ihren Arbeiten lasen.
Nicht alles davon wird in die große Literatur eingehen. Geringe Chancen hat vermutlich „Abseits dessen“ von Kirsten Sanders, ein in seiner radikal verengten Wahrnehmungsperspektive zwar kühner, alptraumartiger Text, zugleich aber auch verstörend und extrem trostlos in der Wirkung. Nicht formal, aber thematisch überrascht hat Isabel Cole, indem sie das Harzer Sperrgebiet der 70er/80er Jahre zum Schauplatz ihres neuen Romans gemacht hat. Erstaunt darüber war das Publikum, weil sie zwar seit 27 Jahren in Deutschland lebt, aber ursprünglich New Yorkerin ist.
Ein starker, viel versprechender Text war der von Marlen Pelny, die bisher vor allem Gedichte geschrieben hat und auch als Musikerin auftritt. Ihre Kindheit hat sie in der Silberhöhe verbracht und das ist auch der Schauplatz ihres ersten Romans mit dem Titel „Schatten“: eine Coming-of-Age-Geschichte, zugleich die Auseinandersetzung mit einer lieblosen Mutter, die ihr Kind vernachlässigt.
Die Überraschung des Abends war Simone Trieder, die produktivste und vielseitigste hallesche Autorin. Denn das Thema ihres neuen Buches „Saftra ist nicht morgen“, das demnächst im Mitteldeutschen Verlag erscheinen wird, ist ein Novum: Es geht um die „lebenden Reparationen“, die nach Kriegsende an die Alliierten gezahlt werden mussten, in diesem Falle: um die Verschleppung von deutschen Spezialisten in die Sowjetunion. Das ist Teil der Familiengeschichte: Auch Trieders Großvater wurde mit seiner Familie quasi über Nacht deportiert, um fünf Jahre lang in der SU zu arbeiten. Nicht nur thematisch ist dieser Text interessant, sondern auch formal, weil Fiktives hier montiert ist mit Aussagen und Tagebuchauszügen von Zeitzeugen.
Am Ende des Abends dann Dirk Laucke, mittlerweile oft gespielter Theaterautor, der für seine zahlreichen Stücke mit beachtlichen Auszeichnungen geehrt worden ist. Er las aus einem Roman mit dem Arbeitstitel „Nur die Harten“. Es ist die Geschichte eines kleinen Spediteurs, dem das Finanzamt den Hahn zudreht – der einzige komische Text des Abends. Laucke las in einem so rasenden Tempo, dass Einzelheiten oft verloren gingen. Es blieb der salopp-coole Erzähl-Sound seiner Dialoge. Und der Eindruck, dass auch dieser Roman seine Leser finden könnte.
Eva Scherf
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Die schnelle Art zu sprechen ist ein Novum seit 1990. Es ist die Wessi-Art zu sprechen. Ich hörte einmal, dass sehr intelligente Menschen so schnell sprechen, weil sie ihr Wissen loswerden wollen.Teilweise kommen sie sogar ins Stottern…
Mir als äterem Menschen, und dazu ertaubt, gefällt es
gar nicht.Denn: Man muss das gesprochene Wort erst geistig umsetzen, es erfassen, verstehen,zweitens kommen diejenigen, die Texte im Fernsehen untertiteln für Hörgeschädigte gar nicht hinterher……
In Deutschland gibt es ein BTHG-Bundesteilhabegesetz-, das um Ziel hat, dass jeder Behinderte am LEBEN teilhaben kannn wie jeder Nichtbehinderte. Die Hörbehinderten müssen sich beim LLesen des Gesetzesn vorkommen wie Schütze A…… im letzten Glied.
Für Leute, die auf Rollstühle angewiesen sind, werden
Möglichkeiten geschaffen durch treppenlose Anfahrten, Blinde haben ihren weißen Stock. Beide erkennt man schon vom Erscheinungsbild, den Hörbehinderten NICHT. Vielmehr erscheint er Umstehenden als unhöflich oder BLÖD, weil er nicht auf Ansprache reagiert.
„Coming- of- Age“-Geschichte- das kammmer woh nich off Deitsch beniem, Fau Dr. Scherf, hä? Ich glowes Ihn ooch so, dasse mehr als wie iche in Koppe hamm, awwer for wen schreim Sien, wenn for Leide, die’s lesen un gabbiern solln, denn doch bidde off Deitsch,’s gann ooch Hallisch sinn, der Schbrache bin’ch ooch mätch, wissen Se je, wahr?
Die lebenden Reparationen waren mir neu, mein Opa war 15 Jahre früher als Spezialist in der damaligen Sowjetunion und vermittelte seine Kenntnisse. Das war in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise und geschah auf Vermittlung der KPD, der er zwar nicht angehörte, aber er nahm diese Möglichkeit damals wahr nach jahrelanger Arbeitslosigkeit und hat mit Hilfe von Freunden Polizei und weiteren Verfolgungen entgehen können nach seiner Rückkehr nach Hitlers Machtergreifung. Morgen ist sein 49. Todestag. Die Blumen fürs Grab morgen stehen schon bereit, er war mir der liebste Mensch.