900 Jahre Stadtsingechor
10. August 2016 | Kultur, Nachrichten | 6 KommentareNicht ganz unwichtig für die Stadt Halle ist der Stadtsingechor. Mit 900 Jahren ist er nicht der älteste Knabenchor, dieses Label gebührt evt. den seit dem Jahre 724 überlieferten Singeknaben aus Solothurn. Aber immerhin ist der Stadtsingechor älter als die Thomaner in Leipzig und den Kreuzchorknaben in Dresden. Beide Chöre sind erst im 13. Jahrhundert gegründet worden und demnach 100 Jahre jünger als die Stadtsinger aus Halle. Deswegen lege ich den Hallenser an Herz, noch bis zum 28. August die Füße in die Hand zu nehmen und in die Jubiläumsausstellung des Chores ins Stadtmuseum zu gehen. Es besteht die einmalige Gelegenheit, sich umfassend über den Chor zu informieren. Auch wenn Chorknaben keine Waisenknaben sind (oder gerade deswegen), obwohl sie heute quasi im Waisenhaus, nämlich den Franckeschen Stiftungen zu Hause sind, ist ihre Geschichte berichtenswert. Und damit sich die Hallenser nicht immer beschweren: Die Sonderausstellung wurde gefördert durch das Land Sachsen-Anhalt
Seit dem Jahre 1116 Jahren singen sie!
Mai dieses Jahres wurde die Jubiläumsausstellung „Stimmen. Bilden. Leben. 900 Jahre Stadtsingechor zu Halle“ im Rahmen der Festwoche 900 Jahre Stadtsingechor zu Halle feierlich im Stadtmuseum Halle in der Großen Märkerstraße 10 eröffnet. Die Ausstellung wurde von der hallischen Musikwissenschaftlerin (und Chormutter eines Sängers) Frau Cordula Timm-Hartmann kuratiert, für die Gestaltung zeichnet Axel Göhre verantwortlich.
Im Jahre 1116 wurde vor den Toren der Stadt Halle das Augustiner-Chorherrenstift Neuwerk gegründet. Seit dieser Zeit singen in Halle Jungen miteinander. Sie taten und tun dies bis zum heutigen Tage im Dreiklang: Stimmen. Bilden. Leben. Unter diesen drei Aspekten beleuchtet das Stadtmuseum Halle in seiner Sonderausstellung 900 Jahre wechselvolle Chorgeschichte. Eingebettet in die Chorhistorie zeigt diese Jubiläumsausstellung die über 900 Jahre gewachsene Verankerung des Stadtsingechores in seiner Stadt.
Zur Ausstellung:
(von Cordula Timm-Hartmann, Kuratorin der Ausstellung)
Hazicho, ein hallischer Bürger, kehrte von einem Besuch bei Erzbischof Adelgot auf dem Giebichenstein heim. Kurz vor den Toren der Stadt sah er eine glühende Egge vom Himmel herabkommen. Der herbeigerufene Erzbischof sah die Egge wieder gen Himmel schweben und deutete dieses Schauspiel als göttliches Zeichen: An dieser Stelle ließ er ein Kloster bauen.
Die Geschichte des Augustiner-Chorherrenstiftes beginnt mit dieser Legende. Im Jahre 1116 wurde es vor den Toren der Stadt Halle gegründet, und in ihm liegen die Wurzeln des Stadtsingechores zu Halle. Zu den wenigen erhaltenen Spuren des ab 1531 abgerissenen Klosters in Halle zählt ein Wappenstein, auf dem die glühende Egge von der Gründungslegende erzählt. Er ist ebenso zu sehen wie Handschriften aus dem Besitz des Klosters, die die dortige mittelalterliche Musikpflege illustrieren und über eine Medienstation angesehen werden können.
Die Aufgaben des Stadtsingechores bilden einen Schwerpunkt der Ausstellung:
STIMMEN:
Ein hallisches Gesangbuch von 1702 und eine originale Partitur einer Kantate von Daniel Gottlob Türk, dem ersten Chordirektor des Chores, stehen für die Unterstützung des Choralgesangs und für die kunstvolle mehrstimmige Kirchenmusik in den Kirchen der Stadt, die der Chor auszuführen hatte. Unterstützt wurden die Schüler von den Stadtpfeifern und Kunstgeigern, deren typische Instrumente zu sehen sind. Ein weiterer wichtiger Auftrag des Chores war das Straßensingen, das zugleich eine der wichtigsten Einnahmequellen war, bestand doch vor allem die Kurrende zumeist aus den armen Schülern.
BILDEN:
Von der Gründung einer Klosterschule bis heute ist im Stadtsingechor künstlerisches Anliegen fest mit einem Bildungsauftrag verschmolzen. Das 1565 im ehemaligen Barfüßerkloster gegründete Stadtgymnasium bot für fast 250 Jahre dem Chor eine Heimstatt. Ein originaler Stundenplan von 1795 zeigt, wie der Chor ins Schulleben eingebunden war, unter anderem, wenn er täglich morgens an der Schultür die Schüler singend und betend erwartete.
LEBEN:
Der Alltag von Chorschülern besteht nicht nur aus gemeinsamem Singen; darüber hinaus gibt es Erlebnisse, Erfahrungen, Beziehungen, die oft ein ganzes Leben beeinflussen. Glücklicherweise gibt es immer wieder singbegeisterte Jungen und deren Familien, die sich für diese intensive Freizeitgestaltung entscheiden, sie nicht als Belastung, sondern als besondere Bildungschance wahrnehmen. Ob Singen tatsächlich beglückend ist, welche Musik am liebsten gesungen wird, ob die Zeit im Stadtsingechor ihr Leben bereichert hat – diese und andere Fragen beantworten in der Ausstellung heutige und frühere Chorsänger, deren Statements sich als „roter Faden“ durch die Ausstellung ziehen. Verschiedene Orte in der Ausstellung laden dazu ein, mit vom Stadtsingechor gesungener Musik des 11. bis 20. Jahrhunderts die gesehenen Eindrücke zu vertiefen.
Noch zu sehen im Stadtmuseum Halle, 5. Mai bis 28. August 2016, Große Märkerstraße 10, Öffnungszeiten Dienstag – Sonntag 10:00 – 17:00 Uhr
Führungen für umtriebige (Un-)RuheständlerInnen: Mittwoch, 17. August 2016, 10:00 Uhr
Abendführungen: Donnerstag, 25. August 2016, 18:00 Uhr
Ein Dank für die Fotos: Stadt Halle (Saale)/T. Ziegler
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Gibt es in der Ausstellung noch originale Aufnahmen der ersten Stunde zu hören?
Wollen! Großer Unterschied!
Dresden, Meißen, eben, alles Sachsen… Dennoch Dank an die aufmerksamen Leser. Lektorate können sich selbst die Profis nicht mehr leisten, aber das nur nebenbei.
„Deswegen lege ich den Hallenser an Herz …“
Wer ist ‚ich‘?
Meißen, Dresden – Lektorat wird einfach überbewertet! 🙂
„Kreuzchorknaben in Meißen“
Aha.
???