Magdeburgs Erzbischof Otto von Hessen stellt Wissenschaftler vor ein Rätsel

20. Juni 2017 | Bildung und Wissenschaft | 2 Kommentare

Friederike Leibe während der Reinigung des Befundes. Foto: privat

Im Labor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle brummt die ganze Zeit die Klimaanlage, um den Raum auf 18 Grad Celsius zu kühlen und die Luftfeuchtigkeit auf 58 bis 60 Prozent zu halten. Hier untersucht die Textilrestauratorin Friederike Leibe die sterblichen Überreste von Otto von Hessen, der von 1327 bis 1361 Erzbischof von Magdeburg war. Archäologen fanden ihn 2009 während Forschungsgrabungen im Magdeburger Dom. Leibe analysiert seine Kleidung und die Grabbeigaben, um Aussagen über seine Bestattung treffen zu können. Sie hat an der Abegg-Stiftung in Riggisberg bei Bern Textilkonservierung und -restaurierung studiert. Bereits in ihrer Master-Arbeit hat sie mittelalterliche Textilien aus dem Stiftergrab des Klosters Tegernsee untersucht. „Mich haben schon immer liturgische und archäologische Textilien begeistert, ganz im Gegensatz zu Mode“, lächelt sie. Bei ihrer Arbeit wird sie von zwei weiteren Restauratorinnen unterstützt. Das Team trifft sich bis zu fünf Mal im Jahr, um das Konzept zu entwickeln und Absprachen über das weitere Vorgehen zu besprechen.

Die Reinigung des Leichnams

Nachdem das Grab im Block geborgen wurde, fertigten die Wissenschaftler von ihm Röntgen- und Computertomografie-Aufnahmen an, um einen ersten Eindruck zu bekommen, wo sich organische Materialien und anorganische Materialien wie Metalle befinden. „Die Textilien sind recht gut erhalten, wozu die relativ konstante Temperatur und eine gleichbleibend hohe Luftfeuchtigkeit in der Gruft beigetragen haben“, so Leibe. Allerdings fehlte aus unbekannten Gründen der Sargdeckel, wodurch dicke Schichten von Sedimentgestein auf die Leiche gelangen konnten. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Deckel bei einer Öffnung in der Vergangenheit nicht wieder aufgelegt wurde.

Leibe begann mithilfe einer Lupe und einem feinen Sauger mit der Grobreinigung. Für die anschließende Feinreinigung nahm sie ein Mikroskop zu Hilfe. Nach der Freilegung rekonstruierte sie die Gewebemuster der Grabgewänder und ordnete sie mithilfe von Vergleichsobjekten zeitlich ein. Seit anderthalb Jahren ist sie schon damit beschäftigt – 40 Stunden die Woche. „Viel Zeit geht auch für die Dokumentation meiner Arbeit drauf. Dazu zählen das schriftliche Erfassen sowie das Anfertigen von Fotos und Zeichnungen“, erklärt sie. Mit einem speziellen Programm hat sie fast jeden Stein vermerkt, den sie von dem Befund abgetragen hat. „Ich wollte die Dokumentation so genau wie möglich machen. Denn man weiß am Anfang nicht, was man später noch gebrauchen könnte.“ Auch bei den Textilien kommt es auf Einzelheiten an. Von jedem Faden erfasste sie die Dichte und Drehung. Inzwischen hat sie über 700 Fundnummern.

Exkommunikation des Erzbischofes?

Die Mitra liegt am Fußende des Erzbischofes.

Die Ergebnisse stellen die Wissenschaftler allerdings vor ein Rätsel. Der Kelch und ein kleiner dazu passender Teller, die so genannte Patene, wurden aus vergoldetem Silber hergestellt und sind gängige Grabbeigaben für einen Erzbischof. Die Bischofskrümme besteht hingegen nur aus vergoldetem Holz. „Sonst ist sie aus sehr kostbarem Materialien. Daher vermute ich, dass sie nur als Grabbeigabe angefertigt wurde“, so Leibe. Gleiches könne auch auf die zwei Ringfragmente zutreffen. So wurde beispielsweise der gefasste Stein des einen Ringes aus zwei Teilen Glas oder Bergkristall zusammengesetzt. Dazwischen befindet sich eine rötliche Schicht, die dem Stein seine Farbigkeit verleiht, wodurch vermutlich ein Edelstein vorgetäuscht werden sollte.

„Die Grabbeigaben eines Erzbischofs können auch sehr viel prunkvoller sein. Auch dass seine bischöfliche Kopfbedeckung – die Mitra – zerstört am Fußende liegt, ließ uns anfangs glauben, dass dies auf seine Exkommunikation zurückzuführen ist, wovon in einer zeitgenössischen Quelle die Rede ist. Aber diese Idee ist doch unwahrscheinlich“, erklärt Leibe. Dagegen sprechen auch die Kinnbinde aus Seide sowie Schnüre, mit denen man vermutlich seine Arme und Beine an den Körper gebunden hatte, um ihn aufzubahren. Außerdem fand Leibe drei Seidenkissen unter seinem Schädel. „Einige Bischöfe haben nur einen Ziegelstein unter dem Kopf. Otto von Hessen wurde also durchaus aufwendig bestattet“, so die Einschätzung der Textilrestauratorin.

Gewänder aus dem 13. Jahrhundert

Bei der Kasel kann man die Ansätze der Gewebemuster noch erkennen.

Die oberste Kleidungsschicht ist die Kasel, das Messegewand, die aus einem Halbseidengewebe mit Medallionmuster besteht, wie es für das 13. Jahrhundert in Italien oder Spanien typisch war – also deutlich vor dem Todeszeitpunkt des ehemaligen Erzbischofes. Die Muster mit Tiermotiven, die im Mittelalter sehr beliebt waren, kann man mit bloßem Auge in Ansätzen noch erkennen. „In einem Medaillon sind vier goldene Vögle auf rotem Grund zu sehen. Dies ist insofern ungewöhnlich, da die meisten Medaillons immer nur zwei Tiere abgebildet haben“, erklärt Leibe. Von seinem Pallium, der Amtsinsignie des Erzbischofs, das aus einem schmalen Wollband besteht, welches über dem Messgewand getragen wird, sind nur wenige Reste erhalten. Die an den Enden angenähten Bleistückchen hingegen sind noch gut zu erkennen. An einigen Stellen sieht man auch noch die typischen eingestickten schwarzen Seidenkreuze.

Unter dem Messegewand befindet sich die so genannte Dalmatik, ein tunikaähnliches Gewand, die auch aus einem gemusterten Seidenstoff aus dem 13. Jahrhundert besteht. „Anstelle eines Futterstoffes sind rötliche Seidenstreifen auf die inneren Säume der Dalmatik genäht wurden, was damals aus  der Mode kam“, erklärt Leibe. Interessant sei eine Knopflochleiste an seinem Untergewand, die für ein weltliches Gewand spricht. „Weltliche Gewänder sind nicht gerade gewöhnlich bei der Bestattung eines Erzbischofes, kommen aber vor“, so Leibe. Die Strümpfe und Schuhe datiert sie auf das 14. Jahrhundert, also auf die aktuelle Zeit des Erzbischofes. Sie sind weder mit Perlen, Gold noch Stickereien verziert.

Handschuhe mit moderner Stricktechnik

Der rote Stoff von der Dalmatik wurde auch für das Futter der Mitra verwendet. Da sie aus unzähligen Schnittteilen zusammengesetzt und auf untypische Art – scheinbar ohne Symmetrie – mit Pailletten bestickt wurde, vermutet Leibe, dass es sich um eine Grabmitra handelt. Die Infeln –  Bänder, die auf der Rückseite der Mitra befestigt sind und über den Nacken herabhängen – sind mit Goldfäden und Goldfolie verziert, darunter auch einer Art Spitze, obwohl Spitzen erst sehr viel später in Mode kamen. Der Goldfaden wurde mit einer Knotenschlingtechnik verarbeitet, die damals sehr schwierig war.

Die gestrickten Handschuhe mit Goldborte sind beide sehr gut erhalten.

Die Handschuhe sind noch sehr gut erhalten. Sie wurden aus Seide gestrickt, was zu jener Zeit als sehr modern galt. Auch hier findet sich wieder der rote Stoff. Der Einschlupf wird von einer Borte aus Goldfäden verziert. „Durch den roten Stoff ist es also durchaus einheitlich: Handschuhe, Mitra und Dalmatik“, sagt die Textilrestauratorin. Warum trägt er also zum einen Kleidung aus seiner Zeit und welche, die bereits 100 Jahre alt war? Woher stammen diese älteren Gewänder? Warum macht man sich die Mühe und bereitet ihn für die Aufbahrung ansprechend vor und gibt ihm Grabbeigaben, die nur zweitklassig sind mit?

Ein möglicher Erklärungsversuch

Eine mögliche Erklärung liefert die Schöppenchronik, eine aus dem Mittelalter stammende Chronik zur Geschichte der Stadt Magdeburg. Dort steht geschrieben, dass der Erzbischof sich die Beerdigung aufgrund seiner Armut nicht leisten konnte. „Der Grabfund hilft uns dabei etwas besser zu verstehen, was  damals tatsächlich geschehen ist. Leider werden wir das abschließend dennoch nicht klären können. Aber der Fall ist doch eigentlich spannend“, sagt Leibe mit einem Augenzwinkern. Sie wird noch weitere Rekonstruktionen der Stoffe vornehmen und den Fund  so aufbereiten, dass er die nächsten hunderte Jahre überdauern kann. Eine Ausstellung von Otto von Hessen ist zurzeit nicht geplant. Nur die nicht-textilen Grabbeigaben – also Stab, Kelch und die Ringe – sollen zusammen mit den Grabbeigaben sowie der Mitra und den Schuhe von Wichmann von Seeburg, dessen Bestattung die Archäologen ebenfalls bei der Ausgrabung 2009 gefunden haben, im Ottonianum in Magdeburg ausgestellt werden.

 

Nicole Kirbach

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