Pflanze der Woche

22. August 2016 | Bild der Woche | 21 Kommentare

So, liebe Spektrum-Leser, das war nun bewusst der Versuch, die Beschreibung so allgemein zu halten, dass sie für den Riesen-Bärenklau (Heracleum giganteum bzw. mantegazzianum) UND für die abgebildete Echte Engelwurz (Angelica archangelica) gilt! Das ist natürlich gemein, aber wir wollten es den bekannten Ratefüchsen mal etwas schwerer machen. Auf den ersten Blick ähneln sich beide, es sind beides Doldenblütler (Apiaceen) aus derselben Unterfamilie. Gemeinsam ist ihnen auch die Wirkung auf die Haut durch Furanocumarine, photoaktive Substanzen. Diese gehören zu den Phytoaxelinen, die Pflanze wehrt sich lokal gegen Angriffe wie z.B. Gewebsverletzungen, indem sie diese Substanzen in Folge des Ereignisses bildet. Furocumarine besitzen die unangenehme Eigenschaft, durch Sonnenlicht aktiviert zu werden:  Gelangen sie mit dem Pflanzensaft (ätherische Öle) auf die Haut (- auch durch die Kleidung!), wirkt sich das als Dermatitis mit Rötung, Schwellung und Blasenbildung aus, ähnlich einer Verbrennung (- wie es in dem Mailbeitrag eines Users richtig beschrieben wurde). Zusätzlich entstehen DNA-Schädigungen. Der Bärenklau scheint diese Stoffe sogar auszugasen, sodass auch ohne Berührung Bronchialbeschwerden auftreten können. Für den Riesen-Bärenklau wird geraten, damit in Berührung gekommene Arbeitsgeräte mit in Spiritus getauchtem Zeitungspapier abzureiben und dieses dann zu verbrennen. Hier ist man doch an die Schmährufe des jungen Peter Gabriel (Genesis) erinnert (s.u.)… Bitte aufgrund der Giftigkeit die beindruckend großen Stängel nicht als Schwert oder Blasrohr verwenden! Hände und Schleimhäute vor einem Pflanzenkontakt schützen!

Über die Pflanzen wurde auch gedichtet und gesungen: Genesis (nein, Wolli, keine deutschen Volkslieder) warnte in einer  Moritat schon 1971 vor der Rückkehr des Riesen-Bärenklaus (mit einer speziellen Gitarren-Spieltechnik, dem Tapping, und klangvoller Hammondorgel in einer sehr progressiven Vertonung) – zugegebenermaßen etwas dramatisierend in Text und Musik. Engelwurz taucht in mancher Lyrik auf, z.B. bei Robert Louis Stevenson (- der mit den wundervollen Reiseberichten).

Der Riesen-Bärenklau (mit seinen bärenklauen-artigen Blättern) ist nicht verwandt mit dem Wahren Bärenklau Acanthus mollis, der hier kürzlich „Pflanze der Woche“ war, und dessen motivstiftendes Blattwerk wir uns gemerkt haben.

Jetzt aber ausschließlich zur Pflanze dieser Woche, die User „Kenia“ richtig und hartnäckig erkannt hatte: Auf dem Foto sieht man die Blüte in grünlichen Dolden – das unterscheidet Engelwurz von den weißblühenden Brüdern Bärenklau und dem sehr giftigen Wasserschierling (siehe auch: http://www.gartenjournal.net/engelwurz-erkennen).

Es wird vermutet, dass Engelwurz so benannt wurde, weil sie ab dem 8. Mai blüht, dem Erscheinungstag des Hl. Erzengels Michael auf dem Monte Gargano in Süditalien ( griechisch „archangelos“ (αρχαγγελος)= Erzengel). Ein mächtiger Engel – muss da nicht auch die Pflanze außerordentliche Fähigkeiten haben? Natürlich, sie sollte Männer und Frauen vor bösen Geistern und Hexen bewahren und das Vieh vor dem sog. magischen Elfenschuss, den man an einem sich verschlechternden Gesundheitszustand zu erkennen glaubte. Die sprichwörtlichen Heilkräfte der Arznei-Engelwurz wurden durch einen Engel im Traum offenbart: „Angelica, des hailigen gaistes Wurtz“, war eine der ersten Heilpflanzen, die im Galgant-Gewürz-Traktat (14. Jh.) beschrieben wurde, einer Aneinanderreihung von Drogen-Monographien. Damals galt sie vor allem als Brustwurz. Anfang des 16. Jahrhundert folgte das Druckwerk des Kleinen Destillierbuchs des Hieronymus Brunschwig: „Angelica wasser vom krut keyn alter philo[so]phus schriben ist / darumb syn latinscher namen von den tütschen in übung ist angelica. …“ Das Angelica-Wasser wurde auch innerlich gegen „undäuigen Magen“ angewendet, heute dient das ätherische Öl bei Magen-Darm-Verstimmungen. Wir sind hier im Zentrum mittelalterlicher, alchemistischen Medizin! Ab dem Ende des 16. Jahrhunderts tauchte Angelica im Wundermittel Orvietan auf. Scharlatane, die die Formel des Gebräus geheim hielten, vertrieben es auf Jahrmärkten – publikumswirksam setzten sie es als Antidot gegen Gifte an, die sie öffentlich gustierten…

louis-marin-bonnet-le-marchand-dorviétan-(after-careme)Vergleichbar auch die vermutlich erst neuzeitliche Engelwurz-Zugabe zum seit der Antike (Asklepios, Nero) geschätzten Allheilmittel Theriak. Dessen Mythos („Himmelsarznei“) findet noch heutzutage Anhänger! Gegenwärtig genutzt wird meist Angelicae radix, die Wurzel, beispielsweise für Kräuterbitter und als Teedroge. Andere verwenden Angelica zum Räuchern oder schätzen das feine Honigaroma. Als traditionelle Heilpflanze wird sie vermehrt im Süden Deutschlands angebaut.

Gegen Elfenschuss wie auch Hexenschuss sollte übrigens auch dieser Zauberspruch helfen, „glaubt man“ (- ganz universal) der altenglischen medizinischen Spruchsammlung Lacnunga (mit germanisch-heidnischen, christlichen und griechisch-römischen Einflüssen):

“…Ut, spere, næs in, spere!

Gif her inne sy isernes dæl,

hægtessan geweorc, hit sceal gemyltan.

Gif ðu wære on fell scoten oððe wære on flæsc scoten

oððe wære on blod scoten

oððe wære on lið scoten, næfre ne sy ðin lif atæsed;

gif hit wære esa gescot oððe hit wære ylfa gescot

oððe hit wære hægtessan gescot, nu ic wille ðin helpan.

þis ðe to bote esa gescotes, ðis ðe to bote ylfa gescotes,

ðis ðe to bote hægtessan gescotes; ic ðin wille helpan….”

Unsere neue Pflanze der Woche: wir ändern die Himmelsrichtung:

Pflanze der Woche 22-28 August 2016

Pflanze der Woche 22-28 August 2016

Nach einem so langen  Ausflug in die nordische Elfenwelt wenden wir uns anderen Himmelsrichtungen zu.  Von ganz wo anders, von ganz weit her, kam unsere Pflanze der Woche  zu uns nach Europa. Sie versorgt uns mit Nahrung, und  zwar mit einer der Kategorie „Gemüse“ – wenngleich man sicher streiten kann, wodurch ein Gemüse definiert wird. Und was eine Beilage ist, und was ein Obst ist. Beispielsweise wird Rhabarber gerne dem „Obst“ zugeschlagen, obwohl die sauren Stängel nun wahrhaft keine Früchte sind.  Unsere Gemüsebeilage jedenfalls wird noch nicht lange in Europa kultiviert, ist aber mittlerweile Bestandteil vieler typisch europäischer Nationalgerichte. Die Früchte soll man roh keinesfalls essen, denn sie enthalten ein giftiges Alkaloid, das „Solanin“. Im heimischen Garten gedeiht die Pflanze übrigens prächtig – wenn sich nicht ein aus dem imperialistischen Ausland eingeschleppter schwarz-gelb gestreifter Käfer über sie her macht. Im Nu ist die Pflanze kahl gefressen  und die Ernte dahin. Im europäischen Raum haben sich verschiedene Namensstämme für unsere Pflanze eingebürgert, sie ist gewissermaßen von den verschiedene Völkern Europas in den Sprachschatz integriert worden. An der Bezeichnung unseres „Gemüses“ kann man übrigens die Wege der gegenseitigen  Beeinflussung unserer europäischen Kulturen auf die Küchentradition studieren. Zubereitet wird unsere Pflanze übrigens in mannigfaltiger Form: gebraten, frittiert, gekocht, als püriert, gestampft,  als Salat….

In der Auflösung präsentieren wir vielleicht das ein- oder andere Rezept. Vielleicht haben Sie selber eines..

Die Fragen lauten:

-Wer ist diese  Pflanze?

-Wer isst sie, und wie nennen die verschieden europäischen Kulturen dieses Produkt? Bitte nennen sie mindestens drei Stammformen aus drei unterschiedlichen Sprachgruppen. Nenne Sie gerne auch typische „Nationalgerichte“, die darauf basieren.

In unserem Lebensmittel ist ein weiteres, recht bekanntes Alkaloid enthalten. Welches?

 

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