Kein Haus, kein Auto, kein Pferd. Aber reich bin ich trotzdem.

6. Februar 2017 | Bild der Woche | 6 Kommentare

Zur Auflösung der letzten Pflanze der Woche: User „Agricola“ kam drauf: die Peyote oder Peyotl. Wissenschaftlich heißt unser kleiner grüner Freund, dessen zarte rosa Knospe wir im Zentrum der undefinierbaren grünen, pickligen Brötchenmasse gezeigt haben, Lophophora Williamsii heißt.

President und Peyote: zwei Artverwandte.

„Mein kleiner grüner Kaktus, steht draußen am Balkon“, sangen dereinst die Comedian Harmonists, und ein solcher Katus ist auch Peyote. Aber ein besonderer. Anders als in dem Lied der Commedians sticht unser kleiner Kaktus nicht. „Lophophora“ ist Griechisch und bedeutet etwa so viel wie „Haarschopfträger“. Doch wer Haarbüschel im Ausmaße eines irren Präsidenten erwartet, läuft ins Leere: es sind nur kleine, pelzige Narben, die unser kleiner Kaktus trägt, an sonsten ist er nackt. Doch innerlich ergeben sich viel eher Bezüge zum US-amerikanischen Wirrschopf: unser grüner Freund trägt die Paranoia gewissermaßen in sich. Heimisch ist er  in der Sonora-Wüste, ausgerechnet dort, wo der irre US-Lophophorus seine Mauer bauen will. Um illegale Reisen zu unterbinden. Und genau zu solchen illegalen Trips verhilft unser kleiner Kaktus. Seit tausenden von Jahren schon.

Lophophora Williamsii

Lophophora Williamsii in Zimmerkultur

Aber jetzt der Reihe nach:

Lophophora Williamsii gehört zu den besonders langsam wachsenden Kakteenarten. Das hatten wir schon angedeutet.  Gemeinsam mit ihm eng verwandten Arten bildet er die Gattung Lophophora innerhalb der Kakteengewächse. (Und nicht zu den Mittagsblumengewächsen, wie Gondwana vermutete, wie die ähnlöich aussehenden „lebenden Steine). Der Lebenszyclus ist lang:  Aus den kleinen, stecknadelkopfgroßen Samen wächst im ersten Jahr eine maximal erbsengroße Kugel heran, notwendig ist dazu, dass es in der heimischen Wüstenregion einmal kräftig regnet. Langsam, sehr langsam wächst er nun weiter, mit 4-5 Jahren ist er etwa so groß wie eine Mandarine, und blüht dann zum ersten mal und bildet Samen. Die Blüten sind eigentlich sehr hübch anzusehen. Wenn er älter wird, bildet er an seiner Basis „Kindel“, und kann auf diese Weise „Nester“ bis zu einem Meter Durchmesser bilden.

Lophophora_Williamsii_Blüte (Wikimedia)

Das Bild mussten wir von Wikipedia übernehmen: unser Autor hat (noch) keine blühende Lophophora.

Die aztekischen Ureinwohner waren schon immer besondere Kateenfreunde.  Sie verehrten ihren Kaktus, den sie „Peyotl“ nannten, auf besondere Weise. Grund für diese besondere Verehrung ist  eine große Zahl von Alkaloiden, deren wichtigstes das Hallozinogen Mescalin ist. In den getrockneten Kakltusköpfen ist es in Mengen von bis zu 4% enthalten. In seiner Wirkung kommt es der Rauschdroge LSD recht nahe, und wird/wurde auch entsprechend genutzt. Mescalin wirkt dadurch, dass es sich an bestimmte  Serotonin-Rezeptoren der Nervenzellen bindet und diese aktiviert. Das bedeutet, der Nervenzelle wird vorgegaukelt, sie habe gerade den Botenstoff Serotonin empfangen. Mescalin (2-(3,4,5-trimethoxyphenyl)ethanamine).svgHier kann es zu einer Stimulation bestimmter Regionen der Großhirnrinde kommen, die für die emotionale Regulation verantwortlich sind: es kommt es zu einer euphorisierenden und halluzinogenen Wirkung.

Die Azteken nutzten die Droge, um den Göttern nahe zu kommen. Dazu schnitten sie einige der  Kakteenköpfe ab, trockneten sie, verspeisten sie oder siedeten daraus berauschende Tees. Für einen Trip brauchte man pro Person etwa 3-4 dieser „Buttons“, oft auch mehr, da der Mescalingehalt der Köpfe stark schwankt.  Die Einnahme der Peyote war in ein mehrstündiges, oft tagelanges Ritual eingebunden. Wie ein solches, heute noch unter den Kiowa-Indionern praktiziertes Ritual aussieht, kann man beispielsweise hier nachlesen.

In den 1960er und 70er Jahren begann man sich intensiv für  Psychodelika zu interessieren, diskutierte sogar den Einsatz von LSD in Psychoanalyse und Psychotherapie. Dabei begann man sich auch für Mescalin und ähnliche, halluzinogene Kakteen zu interessieren (die nahezu alle auch Mescalin enthalten). Daher kennt man die Wirkung der Droge relativ gut.  Fast alle Konsumenten berichten, dass der Kaktus – egal in welcher Form eingenommen – widerwärtig und bitter schmeckt. Nach der Einnahme folgt ein katerartiger Zustand von großer Übelkeit, die dann langsam abflaut, bis der mehrstündige „Trip“ beginnt. Da mescalinhaltige Kateen auch heutzutage immer wieder von neugierigen Konsumenten („Psychonauten“) eingenommen werden, tummeln sich im Netz die vielfältigsten Erfahrungsberichte. Oft wird auch vor „Horrortrips“ gewarnt, ähnlich wie bei LSD. Die Beschreibung euphorisierender Wirkung ist also nicht einhellig. Grob vereinfachend gesagt, ist Mescalin ein „Stimmungsverstärker“, die Wirkung hängt viel vom „Setting“ dem psychischen Grundzustand des Konsumenten, und, wie überall, von der Dosis ab. Eine nicht ungefährliche Reise ins Ungewisse. Erfahrungsberichte mit Peyote oder San Pedro (ein anderer  mescalinhaltiger Kaktus) sind jedenfalls vielfältig im Netz zu finden.

Wenn auch die psychischen Auswirkungen der Droge ernsthafter Natur sein können, soll die körperliche Gefahren relativ gering sein, glaubt man den Statistiken. Der soll das Verhältnis von wirksamer zu letaler Dosis geringer sein als das der Volksdroge Alkohol, aber durchaus nicht unbeträchtlich. Die Gefahr einer Abhängigkeit gilt dabei als sehr gering. Als besonders gefährlich wird übrigens die gleichzeitige Einnahme so genannter MAO-Hemmer beschrieben (hierunter fallen viele Antidepressiva), da sie die Wirkstoffe sioch gegenseitig verstärken, wodurch es zu einem so genannten Serotoninsyndrom kommen kann, das in einigen Fällen tödlich enden kann.

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Verhältnis Wirksame/tödliche Dosis, aufgetragen gegen das Abhängigkeitspotential bekannter Drogen. (Quelle: Wikimedia commons, nach Gable, R. S. (2006): Acute toxicity of drugs versus regulatory status. In J. M. Fish (Ed.), Drugs and Society: U.S. Public Policy, S.149–162, Lanham, MD: Rowman & Littlefield Publishers )

 

Mesacalin ist seit 1967 dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt. Der Besitz und Handel ist in der Bundesrepublik verboten. Doch muß unser Kakteenfreund nun Angst haben, dass ein Rollkommando der Polizei ins Haus kommt, ihn verhaftet und seine Lieblinge beschlagnahmt? Nein. der Besitz und Handel mit lebenden Exemplaren ist legal, so lange sie nicht dem Gebrauch als Droge dienen. Doch wer wird schon seine mühevoll herangezogenen, nach Jahren endlich einmal blühenden Zöglinge brutal morden, um eines kurzen Trips wegen, mit fragwürdigem Ausgang?

Ausnahmeregeln gibt es auch in den USA. Die „Native American Church“, enstanden Ende des 19. Jahrhunderts, ist eine Glaubensgemeinschaft der indianischen Ureinwohner und zählt heute etwa 300.000  Mitglieder. Der Ausdruck „Church“ ist irreführend, denn die Glaubensgemeinschaf versteht sich nicht als christliche Religion. In ihrem Zentrum stehen der zeremonielle Gebrauch der Peyote.

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Historische Aufnahme: Mitglieder der „American Native Church“ in ihrem Tipi bei der Peyote-Zeremonie (Wikimedia Commons).

Der „American Indian Religious Freedom Act“ erklärte 1978 Verwendung, Besitz und Transport von Peyote für „ausschließlich traditionelle und zeremonielle Zwecke im Zusammenhang mit der Ausübung einer traditionellen indianischen Religion“ als rechtmäßig. Problematisch ist der Katuskonsum in den USA und Mexico dennoch: der Bestand an Peyote geht nach Ansicht des „Cactus Conservation Institute“ (was es nicht alles gibt!) kontinuierlich zurück. Man probt jetzt die Nachzucht unter Glas.

Schwierige Aufzucht

Lophophora Williamsii Keimlinge

In diesem Substrat aus künstlichem, sterilen Silikatmineralen zieht unser Spektrum-Gärtner gerade neue Peyotl heran. Die Keimlinge, die man mit viel Mühe hier auf dem Bild findet (Suchspiel) sehen schon aus wie ganz kleine Minikateen. Sie werden Jahre brauchen, um zu ansehnlichen, blühenden Kateen heranzuwachsen. Wenn sie denn durchkommen.

Einheimischen europäischen Pflanzenliebhabern ist dagegen die Aufzucht des Kaktus nur zu botanischen und dekorativen Zwecken erlaubt. Auch dies ist in der Regel ein eine umständliche, langjährige Zeremonie von Kultcharakter.  Samen lassen sich in einschlägigen Versandhäusern bestellen (die auch für einiges Geld fertige Kakteen liefern – aber wo bleibt da der Spaß). Die Samen werden auf mineralischem, sterilen Boden unter künstlicher Beleuchtung und Wärme (ideal sind Temperaturen zwischen 25 und 30 Grad C) im Hause ausgesät. Eine Abdeckfolie ist erforderlich, um anfangs die Luftfeuchte zu erhöhen. Sind die Keimlinge aufgelaufen, lockert man langsam die Folie, um sie nach einiger Zeit ganz weg zu nehmen. Nach ca. 1-2 Monaten brauchen unsere Pflänzchen dann Wüstenklima: Heiß, trocken, bei nur ganz seltenem (alle 14 Tage) Gießen. Sehr hell wollen sie es immer haben. Im Sommer lieben sie es auch, draußen zu sein, aber vor Regen geschützt. Feuchtigkeit bringt sie um, dann faulen sie oft innerhalb weniger Tage weg. Düngen sollte man nur ganz selten in sparsamsten Portionen. Als „Erde“ hat sich besonders eine Sandmischung unter Zusatz von etwas Perlite bewährt.

(Red)

Nach diesem Langen Trip durch die Wüsten  Mexikos nun zur neuen Pflanze der Woche. Wir bleien im Lande. Oder?

Kein Haus, kein Auto, kein Pferd. Aber reich bin ich trotzdem. Unsere neue Pflanze stellt sich selber vor:

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Diese eisigen Dornen sind symbolträchtig, mir aber nicht eigen

„Sie wissen ja, Statussymbole sind nicht alles. Ich besitze kein Haus, kein Auto, kein Pferd. Reich bin ich dennoch, habe fast alles, was das Herz begehrt. Typen wie ich wachsen auf jedem Kontinent, bevorzugen aber die gemäßigten Breiten. Meine Familie ist im Vergleich mit den Größten klein (– wir haben nur etwa ein Zehntel der Gattungen und der Arten der umfangreichsten Pflanzenfamilie). Trotzdem sind wir noch bemerkenswert viele. Bei mir gibt es Drogen, zusätzlich kann ich Früchte anbieten. Für manchen gelte ich als Haupternährer. Ich bin eine Bekanntheit, selbst in Sakralbauten spricht man mir eine bedeutende Rolle zu. Anderorts dagegen werde ich mit „Wurzelunkraut“ geschmäht. Das drückt ein gespaltenes Verhältnis mir gegenüber aus, ich gelte als verflucht und legendär, bodenständig und magisch, natürlich und kultiviert.

Wie ist mein Name (Nachname genügt)?

Was ist meine bekannteste Rolle, und wer spielt mit?

Wen ernähre ich?“

(A.S.)

 

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