Erntezeit

21. August 2017 | Bild der Woche | 9 Kommentare

Nein, das ist kein Bilderrätsel.

Leckere, dunkle Kirschen, der Korb wird rasch voll. „Die Vitamine für die nächsten Tage sind gesichert“, meint mein Begleiter (nennen wir ihn J.M.S.). „Was wollen wir damit machen?“ frage ich. „Na, selber essen und essen lassen“, antwortet er lachend. Na gut, das spart Zeit und schmeckt sicher auch köstlich. Mein Begleiter hat schon 5 Beeren gegessen. Nicht sehr vom Geschmack begeistert, fasst er sich jetzt auch noch an den Bauch. Naja, da muss ich doch auch mal eine probieren, auch wenn ich sehr sensible Geschmacksnerven habe. Aber, was ist denn das? Prustend versuche ich, das Ding wieder loszuwerden, doch Bitterstoffe scheinen die Mundschleimhäute komplett zu überziehen. „Wie eklig!“ rufe ich aus. Das ist ja gründlich schief gegangen. Was haben wir falsch gemacht ?

Folgende Fragen dürfen bis nächste Woche beantwortet werden: Wie heißen diese Früchte, und von welcher Pflanze stammen sie? Was muss man beim Verzehr beachten? Warum schmecken sie bitter, und warum fasst sich J.M.S. an den Bauch? Welche Tradition und welches Einsatzgebiet hat diese Pflanze bei uns?

(A.S.)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche: Die Feige, Ficus Carica.

Wer hat es erkannt? Genau. Agricola, Einbeck, Gondwana. Feigen also. Diese Südfrüchte bekommt man in Halle verhältnismäßig selten als Frischware zu Gesicht. Die leckeren, honigsüßen Früchte, die botanisch eigentlich ein Blütenstand sind, sind ein Genuss. Manchmal verirrt sich eine Lieferung reifer Feigen auch in hiesige Supermärkte, einzeln verpackt, wie Konfekt, und ziemlich teuer.  Das liegt daran, dass die Zucht von Feigen in hiesigen Breiten zwar nicht vollkommen unmöglich ist, aber wegen der Frostempfindlichkeit der Bäume doch sehr aufwändig ist.  Und importieren, wie Bananen oder Zitronen, kann man die Früchte auch kaum, denn wenn sie reif sind, verderben sie schnell, und unreife Feigen reifen nicht nach, wie etwa Bananen. Sportliche Gärtner können aber den Eigenanbau  versuchen:

Feige, durchgeschnitten

Die Bäume (die man  als Jungpflanzen in guten Gärtnereien bekommt) sollten im Frühjahr ausgepflanzt werden, und zwar an eine möglichst geschützte Stelle, am besten eine Hauswand mit Südseite. Im frühen Winter, wenn die Blätter fallen, wird jeder einzelne Zweig (oder Stamm) gegen Kälte und Austrocknung isoliert. Das geht zum Beispiel mit Isolierschaumrollen für Heizungsrohre. Im zeitigen Frühjahr runternehmen, und Ende April beginnt der Austrieb. Wenn man Glück hatte. Sonst treibt die Feige nur noch Schösslinge aus dem Boden. Man hat dann zwar nicht alles verlorenb, aber dieses Jahr gibt es dann keine Hoffnung auf eine Ernte. Bloß nicht aufgeben. Wenn man viel Glück hatte ( der Autor hatte dieses unfassbare Glück nach 10 Jahren) ist der Baum irgendwann  so groß, dass er in normalen Wintern auch „so“ durchkommt. Er erreicht dann beachtliche Größen, das wird dann schon mal ein Kol0ss von fast 6 Metern. In Halle ! Will man Früchte ernten, so gelingt das nur, wenn das Holz, das im Vorjahr gewachsen ist, nicht abgeschnitten oder erfroren ist. So mancher Gärtner hat sich durch einen emsigen Rückschnitt schon um die gesamte Ernte gebracht.

Die Feige (Ficus carica) gehört zu einer großen Pflanzenfamilie, den Maulbeergewächsen, und werden dort zu einem Tribus „Ficeae“ zusammengefasst. Zu dem gehört beispielsweise der als Zimmerpflanze beliebte „Ficus benjamini“, aber auch das Hausgreuel „Gummibaum“ (Ficus elastica) gehören. Die Verwandschaft bemerkt man, wenn man eine unreife Feige vom Stamm bricht, oder ein Blatt abreißt: es treten enorme Mengen eines latexähnlichen, klebrigen, weißen Milchsafts aus.

Ess-Feigen gehören zu den ältesten Kulturpflanzen Eurasiens, älter als die meisten Getreidesorten. Wann sie sich von ihrem wilden – heute nicht mehr fassbaren – Vorläufern durch menschliche Selektion getrennt hat, ist weitgehend unbekannt. Die ältesten archäologischen Relikte stammen aus dem Westjordanland, Jericho und sind über 11.400 Jahre alt. Man fand sie in einem jungsteinzeitlichen Haus in der Siedlung Gilgal I. Dass es sich um „Kulturfeigen“ handelte, erkannte man daran, dass sie schon „parthenocarp“ angelegt waren, d.h. sie in einer Art „Jungfernzeugung“ Früchte ohne Befruchtung entwickelten. Dennoch hat die Feige ein komplexes Sexualleben.

Bei diesen Feigen sieht man die Einfluglöcher für die Insekten

Es gibt zwei Unterarten der Feige. Die Bocksfeige (Ficus carica var. caprificus) enthält männliche und weibliche Blüten, aus den weiblichen entstehen jedoch keine essbaren Früchte. Befruchtet werden sie von der Feigengallwespe. Sie lebt in den weiblichen Blütenständen der Bocksfeige, die schon wie kleine Feigen aussehen. Im Inneren dieser kurzstieligen, grünen „Feigen“ befinden sich am Grunde weibliche Blüten, am „Ausgang“ (da wo bei den Früchten das „Loch“ ist), sitzen die männlichen Blüten. Die Wespe nimmt beim Verlassen der Bocksfeige den Pollen auf, und schwärmt davon. Die ungenießbare Bocksfeige fällt nach der Samenreife vom Stamm, was schon im Frühsommer passiert. Nun sucht die Wespe einen neuen Ort der Eiablage – und findet dann den Blütenstand einer kultivierte Essfeige (Ficus carica var. domestica). Sie schlüpft hinein, um ihre Eier abzulegen. Dabei werden die rein weiblichen Blüten der Essfeige befruchtet, die Samen können sich entwickeln. Aus diesen kann sich entweder wieder eine Bocksfeige oder eine Essfeige entwickeln. Die meisten Kulturfeigen, die wir heute kennen, benötigen diesen Mechanismus jedoch nicht, um reife „Früchte“ zu entwickeln. Sie entwickeln den Blütenstand bis zur Vollreife ohne Befruchtung. Das, was wir als „Feigenfrucht“ essen, ist eigentlich der Blütenstand. Im Inneren befinden sich die Blüten, bzw. – nach der Befruchtung – die Samen.

Feigenbaum, schon etwas in die Jahre gekommen. Thessalien (Griechenland)

Das komplizierte Sexualleben war schon den Menschen der Antike in Grundzügen bekannt. Da man wusste, dass die Kulturfeige zwar auch unbefruchtete Früchte reifen lässt, die Befruchtung aber den Ertrag steigert, hängte man Zweige der Bocksfeige in die Feigenplantagen. „Caprification“ nannte man das. Im gesamten mediterranen Raum war die Feige außerordentlich beliebt. Sie lieferte – ohne dass man sich groß um die Pflege kümmern musste – enorme Mengen an Kohlehydraten, durch Trocknen ließ sie sich bequem konservieren. Im Laufe der Zeit ist eine enorme Zahl von Varietäten entstanden, es gibt gelbe, grüne, braune, violette und fast schwarze Feigen. Solche, mit dünner Schale, mit dicker Schale, und sogar solche, die gemäßigte Wintertemperaturen in Deutschland aushalten.

Im Mittelmeerraum kann man Kulturfeigen bis zu drei mal im Jahr ernten. Ende Mai wird die erste Serie reif, dann folgen Mitte August die Sommerfeigen, und eine dritte Generation etwas kleinerer Feigen versüßt den Herbst. In unseren Breiten gibt es, wenn überhaupt, nur eine Ernte, die jetzt gerade, Mitte August, zu reifen beginnt.

Die enorme Fruchtbarkeit der Feige und ihr verlockend süßer Geschmack haben die Früchtchen schon früh in die Nähe antiker Lustgötter gestellt. Im antiken Griechenland war sie dem Dionysos heilig, und aus ihrem Holz schnitzte man kleine Skulpturen des Priapos. Mit dem „Feigenblatt“ bedeckten Adam und Eva ihre Scham, und Christus erläutert den Menschen, wie man falsche von richtigen Feigenbäumen unterscheidet: „An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen“.

(H.W.)

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